Über das Spiel
- Erschienen bei Strohmann
- Autor: Fernando Eduardo Sánchez
- BGG-Wertung: 8,0 | Weight: 3,56 | Spieler*innenanzahl: 1-4
Canto - Vorwort
INFERNO ist für mich das perfekte Beispiel dafür, dass man einem Spiel – oder genauer gesagt: ich einem Spiel – eine zweite Chance geben sollte. Bereits das Cover, das meinem morbiden Geschmack sehr entgegenkommt, hatte mich im Vorfeld des Kickstarters angesprochen. Als ich das Spiel jedoch im Rahmen des Tags der Brettspielkritik in seiner Prototyp-Version testen konnte, war meine Enttäuschung groß: Die Erstpartie wirkte überladen, teilweise kontraintuitiv, und das Spielbrett empfand ich als gestalterisch wenig ansprechend. Und die Möglichkeit, dass das Spiel frühzeitig durch eine Blockade enden könnte, war für mich ein Fehler im Design. Glücklicherweise wurde ich kurz darauf zur Besprechung des Spiels in die Podcastfolge COCKTAILS FOR MEEPLES (Folge 26) eingeladen. Das brachte mich dazu, INFERNO noch einmal – und dann wiederholt – zu spielen. Und siehe da: Ich musste mein Urteil revidieren.
Ab in die Hölle mit Dante, Vergil und Beatrice
In Inferno, dem ersten Band von Dantes Göttlicher Komödie, begibt sich der Dichter Dante auf eine Reise durch die Hölle, begleitet von dem römischen Dichter Vergil. Sie überqueren den Fluss Acheron, der die Grenze zur eigentlichen Hölle bildet, und treffen dort auf den Fährmann Charon, der die Verdammten hinüberbringt.
Die Hölle ist in neun Kreise unterteilt, in denen die Sünder gemäß ihren Sünden bestraft werden. Jeder Kreis bestraft eine bestimmte Sünde, wobei die Strafen gemäß dem Prinzip der contrapasso (der Strafe, die der Sünde entspricht) verteilt sind. Am Eingang zur Hölle steht Minos, der über die Verdammten richtet und sie durch das Umwickeln seines Schwanzes in den entsprechenden Kreis schickt. In einem tieferen Kreis begegnet Dante der schrecklichen Medusa, die ihn zu Stein erstarren lassen könnte, wenn Vergil ihn nicht davor bewahren würde.
Die Stadt Dis, eine gewaltige Festung mit hohen Mauern, trennt die oberen Kreise der Hölle von den tieferen, wo die schwereren Sünden bestraft werden. Dämonen verweigern Dante und Vergil zunächst den Zutritt, bis himmlische Boten eingreifen.
Am tiefsten Punkt der Hölle, im neunten Kreis, finden sie Luzifer, der die größten Verräter ewig quält.
Hier endet das Spiel INFERNO und auch das erste Buch der göttlichen Komödie. Dantes Reise ist jedoch nicht zu Ende – er verlässt mit Vergil die Hölle und begibt sich auf den Läuterungsberg, wo ihn schließlich Beatrice, seine Liebe, erwarten wird.
Spielmechanik: Verdammte Seelen und florentinische Aktionen
Warum beschreibe ich das alles noch einmal? Nun, man merkt, dass der Autor ein Fan des Buches ist, denn spielerisch hält es sich eng an die Vorlage. Zumindest in der ersten Phase, der Höllenphase. In dieser muss ich Seelen-Meeple durch die eben erwähnten Kreise zu ihrem farblichen Bestimmungsort bringen. Auf jedem Feld, das sie betreten können, sind Symbole aufgedruckt, die in der zweiten Phase, der Florenzphase, bestimmen, welche Aktionen ich machen kann. Kommen Seelen an ihren Bestimmungsort, dann gibt es Schandepunkte, wie die Siegpunkte im Spiel genannt werden. Je tiefer in der Hölle der Ort liegt, desto mehr sind es. Schneller hinab geht es durch halmaartiges Überspringen von anderen Seelen, die im Weg stehen. Doch dann ist da auch noch die Mauer von Dis, die es zu überwinden gilt, und beim Verschieben der Seelen möchte ich auch meinen Mitspieler*innen keinen Vorteil verschaffen.
Habe ich diese gedankliche Hürde gemeistert, dann darf ich auf Basis des soeben ausgewählten Symbols eine Worker-Placement Aktion in Florenz machen. Diese reichen von der Vergrößerung meines persönlichen Familienbaus, über das Anheuern von Workern („Gassenkinder“) im Stroh (eins der Aktionsfelder in Florenz) bis hin zum Ausspielen von Karten. Noch spannender ist allerdings der Rückholzug, bei dem meine ausgesandten Familienmitglieder in den einzelnen Stadtgebieten Sünder beschuldigen, die daraufhin gerichtet werden und als Seelen auf dem Friedhof landen. Diese Aktion treibt auch das Spiel voran, denn jedes Mal, wenn dies passiert, bewegt sich Dante ein Stück weiter die Hölle hinab. Zudem erhalte ich Schritte auf den farblich passenden Sündenleisten, die mir am Ende des Spiels eine beträchtliche Anzahl der Gesamtpunkte bringen. Auch hier ist ein kleines weiteres Wettrennen implementiert, denn Punkten tun nur die Personen, die am weitesten vorn stehen, wenn Dante diesen Höllenkreis erreicht.
Spielerische Höllenqualen
Im Spielgefühl führt dies dazu, dass ich bei INFERNO ständig unter Feuer stehe und die Entscheidungstiefe tatsächlich außergewöhnlich hoch ist. Denn jede Entscheidung hat auch Einfluss auf die Aktionsmöglichkeiten der Mitspielenden, und Timing ist ganz entscheidend, um am Ende die größte Schande, also Siegpunkte, anzuhäufen. Spielerisch erleide ich also ein wenig Höllenqualen, wenn ich versuche, das Spiel zu optimieren, oder mir wieder jemand Seelen in den Weg schmeißt. Mir gefällt es deshalb besser mit Bauchspieler*innen, die nicht alles unter Kontrolle haben müssen. Eine gewisse Frustrationstoleranz benötige ich überdies, um die unkontrollierbaren Aspekte auszuhalten.
Die Partien laufen insgesamt erfreulich unterschiedlich ab. Mal steht schnell der ganze oberste Bereich voll mit Seelen, mal füllt sich die Hölle nur langsam. Mal sprintet Dante durch die Hölle und mal lässt er sich Zeit. Ihren Anteil daran tragen auch die sechs unterschiedlichen Wächter der Hölle, von denen jeweils zwei Stück im Spiel vorhanden sind. Mithilfe von Aktionen lassen diese Seelen für andere Spieler*innen einfrieren, oder geben mir Punkte, wenn andere Mitspieler*innen Seelen zu ihren Zielen führen.
Eingangs hatte ich ja bereits erwähnt, dass mir Thema und Cover hervorragend gefallen. Zwar fällt der Spielplan in meinen Augen darstellerisch hinter dem Cover zurück, dennoch hat sich der Autor viel Mühe gegeben, das Thema an das Eurogame zu binden. Hier lodert die Liebe zum Detail förmlich aus jeder Pore. Dies feuert (haha) beim Lernen allerdings etwas zurück, denn wenn ich mich nicht komplett sicher in der Welt von Dantes Inferno bewege, sind die Begrifflichkeiten für meinen Geschmack eher hinderlich. Was war noch einmal die Mauer von Dis, warum heißen Siegpunkte hier Schandepunkte und wie sie die Bonuskarten, hier genannt Betrugskarten, zu verstehen? Was war noch einmal der Unterschied zwischen dem Fluss Styx und dem Fluss Acheron und was zur Hölle ist die Phlegethon-Leiste, sind Fragen, die in meinen Partien durchaus öfter vorkamen. Das Ganze ist zwar thematisch schön in der Anleitung erklärt, in der Vergil und Beatrix zu mir sprechen, aber hui, zugänglich ist das nicht. Und das sind bislang nicht einmal alle thematischen Verschränkungen.
Materialseitig überzeugt INFERNO: Für einen UVP von rund 70 € (marktüblich derzeit ca. 55 €) erhält man eine vollgepackte Schachtel mit hochwertigem Holzmaterial. Die Seelenmeeple sind durch Lasersymbole unterscheidbar, die Flämmchen-Schandpunkte und Schädel auf den Sündenleisten fügen sich atmosphärisch stimmig ins Gesamtbild. Verstaut wird das Material in Plastiktüten. Ein Insert, das auch den Aufbau beschleunigen würde, gibt es nicht.
Abschließende Bewertung des Ministeriums