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Thorgal – Andor für Expert*innen?

von Johannes

Über das Spiel

Einleitung

Franko-Belgische Comics waren in meiner Kindheit ein ständiger Begleiter. Insbesondere Tim und Struppi (mit Ausnahme der problematischen Bände) und Asterix hatten es mir angetan. Aktuell freue ich mich, dass auch meine Kinder derzeit im Asterix-Fieber sind, nachdem sie mir dies lange verwehrt hatten. Mit der Reihe Thorgal des belgischen Autors Jean Van Hamme hatte ich jedoch keine Berührungspunkte. Das gleichnamige Brettspiel sollte dies ändern.

Eintauchen in die Welt von Thorgal

Natürlich konnte ich nämlich nicht umhin, mir auch einen Comicband aus dieser Reihe zuzulegen. Meine Wahl fiel auf den Ersten „Die Rache der Zauberin“.

Worum geht es in der Welt von Thorgal? Der von einem Sternenvolk abstammende Wikinger Thorgal wird als Skalde (Dichter) aufgezogen, nachdem er von den Sternen auf die Erde gekommen ist. Er ist später mit der Wikingerprinzessin Aaricia verheiratet, mit der er mehrere Kinder hat. Darunter auch seinen Sohn Jolan. Alle drei Charaktere sind in THORGAL spielbar. Dazu kommt im Grundspiel noch eine weitere Person, nämlich die Kriegerin Kriss de Valnor. In der Erweiterung und im Kickstarter sind und waren noch weitere Charaktere verfügbar.

Die Welt von Thorgal ist eine fantastische, in der es Götter und andere übernatürliche Wesen gibt und in der sich der Protagonist immer wieder verschiedenen Gefahren stellen muss.

Obwohl die Bände teilweise aufeinander aufbauen, sind die Geschichten in dem Band, den ich gekauft habe, nicht miteinander verbunden. Sie erzählen – so wie das Brettspiel auch – sehr unterschiedliche Storys. Thorgal ist dabei keineswegs der Held, dem alles gelingt. Gleich in der ersten Geschichte im Comic ist er zum Beispiel gefangen genommen worden und entkommt nur mit der Hilfe einer Zauberin, die ihn ab sofort für ihre Dienste missbraucht. Die zweite Geschichte erzählt, wie er in die Fänge von Nymphengelangt, die ihn verführen wollen. Er ist also oft der Underdog und das mag auch einen Teil seiner Anziehungskraft ausmachen.

Die Spielmechanik

Umgesetzt sind die sehr verschiedenen Handlungen im Spiel durch ein Aufklappbuch, in denen die Szenarien spielen (wie beispielsweise bei GLOOMHAVEN – PRANKEN DES LÖWEN). Pro Doppelseite entsteht eine Landschaft, auf der ich meine detailgetreuen Miniaturen (diese sind bei Lieferung unbemalt) mit einer entsprechenden Aktion bewegen kann.

Jede Runde kann ich mit meiner Gruppe unabhängig von der Gruppengröße reihum vier Aktionsscheiben unter die ausliegenden Aktionskarten legen. Als Aktionen kommen die für Spiele dieser Art üblichen Handlungen zum Einsatz: Bewegen, Kämpfen, Ausrüstung und Ressourcen einsammeln. Dazu kommt eine sogenannte Reiseaktion, mit der ich mich von links nach rechts über eine ausliegende Reisekartenreihe bewege und dort weitere Ressourcen einsammele. Meine Reise wird durch Polyominos („Tetris-Blöcke“) nachvollzogen, die ich je nach Ausbau meiner eigenen Fähigkeiten auf die Karten legen muss. Das gleiche System kommt auch bei eigenen Verwundungen und Kämpfen zum Einsatz. Hier muss ich die zu legenden Polyominos per Würfelwurf ermitteln und anschließend auf das Raster der gesichtslosen Gegner*innen legen. Decke ich alle auf den Karten abgebildeten Herzen ab, dann ist der*die Gegner*in tot. Gleiches gilt, wenn ich nach eigenem Schaden kein Polyomino in das Raster auf meinem Charaktertableau mehr legen kann. Dann sterbe nämlich ich und das Szenario ist verloren.

Eine weitere essenzielle Aktion ist das Ablegen von gesammelten Ressourcen auf einem Feld. Hiermit bringe ich Materialien dahin, wo sie gebraucht werden, und treibe die Story somit voran. Immer wenn ich etwas abschließe (Kämpfe oder Materiallieferungen) werden nämlich neue Abschnitte im Geschichtenbuch vorgelesen und ich erhalte verschiedene Belohnungen, die mir helfen, das Szenario zu gewinnen. 

Bezüglich der Aktionsauswahl möchte ich noch eines herausheben, was für mich ebenfalls eine Besonderheit des Spiels ist, und das ist die Variabilität der Aktionskarten. Sind die Aktionen von Szenario zu Szenario auch prinzipiell die gleichen, so wechseln die damit verbundenen Aktionsstärken und Boni zwischen den Karten einer Art, von denen es jeweils mehrere gibt. Auch während des Spiels wird die Aktionskartenreihe angepasst. Meist geschieht dies dann, wenn ich einen Ort abgeschlossen habe und die Geschichte voranschreitet. Gehe ich in Bündnisse ein, kann ich etwa einfacher durch das Land reisen. Oder ich befreie eine Mine und kann dann besser Ressourcen sammeln.

Die zu erhaltenden Boni sind zudem nicht nur von dem Aufdruck auf der Karte, sondern auch von der Position aller Aktionsscheiben abhängig. Jede Runde muss dabei jede Aktionsscheibe einmal bewegt werden, was die Aktionsscheibe „verbraucht“. Die Notwendigkeit, die Position aller Scheiben zu berücksichtigen und alle bewegen zu müssen, schafft interessante strategische Möglichkeiten und sorgt für Diskussion am Tisch.

Am Ende jeder Runde wird eine Ereigniskarte aufgedeckt, die sich mehrheitlich unmittelbar auf Aktionen und Status der Charaktere auswirkt. Zudem gibt es eine Vorausschau auf das Ende der kommenden Runde, bei der ein Effekt am unteren Rand der Karte ausgeführt wird. Mitunter lässt sich dieser auch vermeiden – auch hier muss ich mit meiner Gruppe reichlich abwägen. Die Anzahl der Runden ist nämlich stark limitiert (nur bis zu zehn) und in manchen Szenarien auch davon beeinflusst, wie gut ich mich beim Lösen der Aufgaben anstelle.

Abenteuerspiel oder Eurogame, das ist hier die Frage

Wenn ich das Spielgefühl beschreiben müsste, dann würde ich sagen, dass sich THORGAL im Grunde ein wenig so anfühlt wie DIE LEGENDEN VON ANDOR – nur eben als Expert*innenspiel. Es kommt trotz der euroartigen Mechanik nämlich nur darauf an, dass ich zum richtigen Zeitpunkt die richtige Aktion auswähle. Klingt trivial, immerhin ist das ja in jedem Spiel so. Selten ist es aber so eng in die DNA eines Abenteuerspiels eingewoben, wie hier. Es gibt pro Szenario im Grunde nur zwei „richtige“ Wege, an die es sich spielerisch zu halten gilt. Tue ich das nicht, dann renne ich unweigerlich in das enge Zeitlimit. Die Sonnenuhr tickt unaufhörlich und sitzt mir ständig im Nacken. Ich kann also nur das machen, was mir das Spiel vorgibt. Das ist nicht die Freiheit, die ich mir von einem Abenteuerspiel erhoffe. Hier kommt mir ein weiterer Titel in den Sinn, mit dem sich der Zeitdruck vergleichen lässt und der spielerisch in eine ähnliche Kerbe schlägt: ROBINSON CRUSOE: ABENTEUER AUF DER VERFLUCHTEN INSEL. Erzählung und Mechanik lassen das Abenteuer in den Hintergrund rücken. Immerhin ist die Mechanik bei THORGAL nicht so glückslastig, wie beim Survivalspiel ROBINSON CRUSOE.

Der erzählerische Part ist allerdings auch die zweite große Schwäche von THORGAL. Das Spiel besteht aus Einzelszenarien ohne thematische Rückbezüge. Ein Kampagnenmodus wird nicht angeboten. In einem Szenario bin ich mit einem Langboot unterwegs und im nächsten dann mit meinem Luftschiff abgestürzt. Zwei Szenarien später befinde ich mich in einem Land der Riesen und habe selbst die Größe eines Insekts. Es gibt keine inhaltliche Kohärenz. Das geht so weit, dass es auch egal ist, ob ich nun Thorgal, seinen Sohn oder irgendwen anderes mit in das Szenario genommen habe. Die direkte Ansprache einzelner Charaktere im Flavortext wird vermieden und mir als Spieler ist es auch ziemlich egal, was mit einzelnen Charakteren passiert. Nur sterben sollte ich nicht, denn das würde das Ende des Szenarios bedeuten.

Für sich genommen sind die Storys der einzelnen Szenarien aber geschlossen und auch die kleinen Vorleseelemente fügen sich passend in die Geschichte. Auf Basis meiner Lektüre des einen Thorgal-Bandes muss ich an dieser Stelle festhalten, dass dies bei der Comicvorlage genauso ist. Dort waren die Geschichten auch unverbunden. Vielleicht liegt es auch an mir und ich bin nicht fähig unter diesen Voraussetzungen eine Bindung aufzubauen, aber es gefällt mir so einfach nicht. Hier hätte ich mir mehr Storytelling gewünscht, um das Abenteuer mehr erlebbar zu machen.

Was das Szenario-Design selbst angeht, funktioniert das Spiel. Die Aufgaben sind abwechslungsreich und trotz der Zwänge fühlen sie sich unterschiedlich an. Mal geht es mehr um Kampf und mal muss ich diesem zugunsten von Rohstoffen fast aus dem Weg gehen. Voraussetzung ist natürlich, dass ich als Spieler auch verstehe, was wirklich zu tun ist.

Das ist leider auch nicht immer klar. In dem Szenario, in dem wir alle geschrumpft sind, sollen wir zum Beispiel zuerst Gefangene befreien und uns dann alle auf dem Feld der Hüterin der Schlüssel einfinden. Wo das ist, wird uns aber nicht gesagt. Eine Suche im BGG-Forum eröffnet uns, dass es ein Feld gibt, auf dem eine kleine Frau abgebildet ist. Nichts deutet darauf hin, dass diese nun die Hüterin der Schlüssel ist. Begeisterte Leser*innen der Comics können sie vielleicht identifizieren, aber dazu gehöre ich ja nicht und sonst auch niemand aus meiner Gruppe. Bedauerlicherweise ist das nicht das einzige Beispiel. Auch in anderen Szenarien sind uns Inkonsistenzen und unvollständige Anweisungen aufgefallen, die uns zwischendurch ein wenig die Luft aus dem Reifen ließen.

Begonnen hat dies schon bei der hübsch gestalteten Anleitung, die für uns leider nicht präzise genug war. Unglücklich war ich zum Beispiel über die Differenzierung zwischen Wunden und Gefahren, die Wunden verursachen. Auch die Beispiele im Regelheft sind an mehreren Stellen doppeldeutig.

Und dann sind da noch ein paar mechanische Entscheidungen, die zwar insgesamt für das Spiel als Eurogame Sinn ergeben, für ein Abenteuerspiel nicht. Zu nennen ist an erster Stelle die Tatsache, dass es keine gemeinsamen Kämpfe gibt. Jeder Charakter muss sich einzeln den Gefahren auf einem Feld stellen, auch wenn die Gegner*innen möglicherweise in der Überzahl sind. Die Kämpfe werden dann komplett abgehandelt. Töte ich nur einen von mehreren Gegnern, dann sind im nächsten Zug schon wieder alle da. [Nachtrag 11.01.2025: Die Anleitung ist an dieser Stelle nicht gut gemacht. Es werden nicht immer alle Gegner auf einem Feld gleichzeitig bekämpft, sondern nur dann, wenn dies explizit angegeben wird (Quelle).]

Auch das Tauschen von Karten oder Ressourcen ist durch das Spiel nicht vorgesehen. Immerhin darf ich Ressourcen mitverbrauchen, wenn eine andere Figur auf meinem Feld steht.

Das Spiel bewegt sich somit in einem Zwischenbereich zwischen Eurogame-Mechanik einerseits und Abenteuerspiel andererseits. Es ist weder Fisch noch Fleisch. Das fand ich ein wenig unbefriedigend. Gerne hätte ich die Geschichte von Thorgal wirklich intensiv kennengelernt und bedeutungsvolle Entscheidungen getroffen, ohne unter einem permanenten Zeitdruck zu sein. Oder ich hätte mich mechanisch ausgefeilt durch die Welt gekämpft und die Geschichte hinten rüber fallen lassen (so wie bei GLOOMHAVEN). Beides war aber nicht so richtig möglich und konnte weder mich noch meine zwei bis drei Mitspieler*innen (eine Person schied schon nach dem ersten Abend aus) wirklich überzeugen. Hätte ich es nicht unbedingt durchspielen wollen, um eine gute Basis für die Rezension zu haben, hätten wir sicherlich nur die ersten beiden Szenarien gesehen.

Immerhin: Die Polyomino-Mechanik ist für mich eine erfrischende Abwechslung zum Legen von Mana und Wundplättchen, und auch die Aktionsauswahl mit den variablen Aktionskarten ist insgesamt rund. Vielleicht könnten die Autor*innen für das nächste Spiel etwas mehr Abenteuer ins Abenteuerspiel bringen und mich damit vollständig überzeugen.

Transparenzhinweis

Für diese Rezension stand mir ein kostenfreies Rezensionsexemplar zur Verfügung, welches mir ohne Auflagen vom Verlag übermittelt worden ist.

Abschließende Bewertung des Ministeriums

„Thorgal ist für mich ein Spiel primär für die Fans der Comicreihe, die sich an den Storyfragmenten und den orginalgetreuen Zeichnungen erfreuen können. Leider bin ich jedoch nicht allzu vertraut mit der Welt von Thorgal. Für mich war das Spiel ein Zwischenschritt zwischen Abenteuerspiel und Eurogame, ohne aber eine der beiden Gattungen wirklich gerecht zu werden.“
Johannes
Brettspielminister

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6 Kommentare

pustetroll 17. Dezember 2024 - 16:14

Für meinen Mann und mich ist das Spiel genau richtig. Wir mögen keine Dungeon Crawler und ewig lange Storys auch nicht. Uns hat das Spiel z.B. an Nah und Fern erinnert, aber es gefällt uns besser.

Antworten
Johannes 17. Dezember 2024 - 17:29

Danke für deinen Kommentar!

Finde ich auch vollkommen legitim – Geschmäcker sind natürlich verschieden 🙂

Antworten
Florian 17. Dezember 2024 - 16:46

Danke für die Rezension!! Mir ging es ähnlich: bin mit Franko-, Belgischen Comics aufgewachsen, kannte Thorgal aber dennoch nur vom Sehen. (Nur habe ich als Kind noch nicht differenziert, zwischen problematischen und weniger problematischen Tintin-Bänden, da warst du scheinbar als Kind schon sehr weit) Jetzt war ich aber gespannt auf das Spiel, leider beschreibst du, was ich befürchtet habe. Nun, Geld gespart 🙃

P.S.
Hauptprotagonist ist ein furchtbares Wort. Protagonist reicht 🎄😉☃️

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Johannes 17. Dezember 2024 - 17:32

Ich hatte als Kind einen Vorteil: Mir gefielen die problematischen Bände auch inhaltlich überhaupt nicht – und das, obwohl mir viel Wilhelm Busch vorgelesen wurde.

P.S.: Danke!

Antworten
BG 11. Januar 2025 - 14:35

Lass dich nicht abschrecken von der Rezensenten Meinung hier – das Spiel ist super und bedient ganz wunderbar die Nische zwischen Rollenspiel und Euro Game.

Antworten
Johannes 11. Januar 2025 - 14:42

Ich hatte oben schon einmal geschrieben: Geschmäcker sind verschieden. Ich glaube gerne, dass es anderen Personen gut gefällt. Warum mir nicht so gut (6 von 10 ist keine schlechte Wertung!) habe ich in der Rezension ausgeführt.

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