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Barcelona – Punkteregen mit Designschwächen

von Johannes
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Über das Spiel

Vorwort

Als ich neulich beim Podcast „Alles außer Toplisten“ zu Gast war, schwärmte Oli mir sehr von Barcelona vor. Ich hatte den zwar Titel zur Kenntnis genommen, aber bislang kein größeres Interesse. Olis positive Erwähnung nahm ich dann aber doch zum Anlass, in die Welt von Dani Garcia abzutauchen. Dani Garcia? Richtig, der Name ist vielleicht landläufig noch nicht so bekannt, aber es sieht so aus, als ob wir, die Brettspielcommunity, in den nächsten Jahren öfter von ihm hören werden. Sein Erstlingswerk ist das ebenfalls 2023 erschienene Arborea. Für 2024 sind aber bereits laut BGG gleich mehrere neue Titel angekündigt: Windmill Valley, für das Board&Dice aktuell stark wirbt, Daitoshi, Neko Syndicate und die erste Erweiterung für Barcelona. Darüber hinaus stehen wohl mehrere Prototypen in den Startlöchern. Viel Neues für den Kennerspielmarkt. 

Das Thema

„Es ist Mitte des 19. Jahrhunderts. Seit beinahe 150 Jahren steht die Stadt Barcelona als strategische Festung unter Kontrolle des Militärs. Da nicht außerhalb der Stadtmauern gebaut werden durfte, wurde Barcelona durch eng nebeneinander gebaute Fabriken und Gebäude zur dichtestbesiedelten Stadt in ganz Europa. Die Lebensumstände im alten Barcelona waren äußerst schlecht. Es brachen oft Krankheiten aus und die durchschnittliche Lebenserwartung eines Arbeiters betrug nur etwa 25 Jahre. Kurz nachdem die Stadtmauer endlich zerstört war, präsentierte Ildefons Cerdà, der heute als Begründer des Urbanismus gilt, seinen Plan für die Erbauung des „Eixample“, der Erweiterung Barcelonas, die es so dringend brauchte.“ 

Quelle: Giant Roc 

Barcelona ist thematisch also ein Städtebauspiel. Als eine in Mannheim arbeitende Person möchte ich direkt ausrufen: „Genau, das Cerdà-Muster können wir auch in der Mannheimer Innenstadt sehen“. Allerdings sind die Mannheimer Quadrate bereits um 1600 geplant worden. Diejenigen, die schon einmal in Mannheim waren (zum Beispiel beim Tag der Brettspielkritik), sollten sich jetzt aber vorstellen können, wie die Erweiterung Barcelonas, das Eixample, und damit auch das Spielbrett aussehen. Die Spielfläche besteht nämlich aus einem 4×4-Raster mit insgesamt 16 Bauplätzen. Zwischen den und neben den Bauplätzen ist Platz für Straßen. Im Spiel arbeiten wir an der Erstellung der Erweiterung mit, möchten also Häuser und ein Straßennetz errichten. Die Straßen sind für damalige Verhältnisse sehr breit, was sich später, mit dem Einzug der Autos, als vorteilhaft erwiesen hat. Cerdà war es aber wohl daran gelegen, den Menschen einen lebenswerten Ort zu bieten. Entsprechend sind auch die ersten Häuser, die in Realität und im Spiel gebaut wurden, mit großzügigen Innenhöfen ausgestattet. Erst im zeitlichen Verlauf werden die Gebäude immer imposanter und die Innenhöfe, auch wegen des erneuten Platzmangels, wieder kleiner. Im Spiel zeigt sich dies durch eine Abnahme der Attraktivität auf der sogenannten Cerdà-Leiste.  

Die Mechanik

Getrieben wird das Spiel von einem Action-Selection-Mechanismus, bei dem wir immer zwei zuvor aus einem Beutel gezogene Bewohner*innen auf den Schnittpunkt von mindestens zwei Straßen setzen. Die „Beschriftungen“ der Spalten und Zeilen des Schnittpunktes geben dann jeweils vor, welche Aktion ausgeführt werden kann. Dies kann vom Beschaffen von Ressourcen (Geld, Stoff), über das Erwerben von Endsiegpunktbedingungsplättchen („Modernisme-Plättchen“) bis hin zum Bau von Straßen und öffentlichen Gebäuden reichen. Liegen dann am Ende eines Zuges passende Bewohner*innen (es gibt drei verschiedene) auf den Ecken eines Bauplatzes, dann müssen wir ein Gebäude errichten. Die benutzten Bewohner*innen wandern anschließend, je nach Farbe, auf eine von drei Leisten, deren Füllung die drei Zwischenwertungen und das Spielende einläuten. Neben dieser Grundmechanik gibt es darüber hinaus noch ein kleines Tiles-Placement-Spiel, bei dem der Bürgersteig der Stadt gebaut wird, eine Möglichkeit die Endsiegpunkteplättchen in ihrer Wertigkeit upzugraden, den Bau von Kathedralen und die Cerdà-Leiste, zum Verständnis dieser Rezension dürfte aber diese kurze Beschreibung ausreichend sein. Wer die Regeln des Spiels lernen möchte, der findet beispielsweise beim Brettspiel Dude ein passendes Video, oder kann sich die Regeln bei Board&Dice herunterladen. 

Meine Meinung

Insgesamt ist Barcelona ein schönes Spiel. Dies gilt sowohl für die Ausstattung als auch für die Grundmechanik. Das gelieferte Material empfinde ich als ansprechend und die Ikonographie als zweckmäßig. Klar, ein wenig mehr Holz, zum Beispiel bei den Bewohner*innen, wäre nett gewesen, aber das hätte das Spiel potentiell auch teurer gemacht. Warum die Münzen nicht ausgestanzt worden sind, das verstehe ich allerdings nicht. Das Thema lebt vor allem in der Anleitung, in der sehr gut nachvollziehbar skizziert wird, welche Designentscheidung und Spielmechanik thematisch inwiefern Sinn ergeben und es macht im Großen und Ganzen Spaß.  

Dennoch komme ich zu einem anderen Fazit, als es beispielsweise Christian von Brett&Pad in seiner Rezension tut. Das hängt vor allem an 2,5 Faktoren: 

Barcelona ist ein wahrer Punkteregen. So sehr, dass es den Spielfluss stört und Analyse-Paralyse begünstigt. Die Endsiegpunkte werden in diesem Spiel nämlich durch eine Vielzahl von Faktoren berechnet. Einer davon sind die Modernisme-Plättchen (bei 4 Spieler*innen bis zu 18 verschiedene), die auch noch mit unterschiedlicher Gewichtung in die Berechnung eingehen. Gegen eine große Rechnerei am Ende hätte ich ja gar nichts, da mir eine „Eyeballing“ des aktuellen Standes durchaus ausreicht. So schnell geben sich viele meiner Mitspieler*innen aber nicht zufrieden. Sobald man aber versucht, die Punkte und Punktemöglichkeiten während des Spiels auszurechnen, kommt man ganz schön ins Straucheln. Die Folge ist extreme Analyse Paralyse. Insofern passt die angegebene Spielzeit von 60 bis 90 Minuten auch nur dann gut, wenn alle einigermaßen entscheidungsfreudig sind. Erschwert wird dies durch die Tatsache, dass wirklich jede Aktion einen Haufen Punkte ausschüttet. Die Kramer-Leiste, die immerhin 100 Punkte lang ist, wird dabei schon während der Partie überrundet und auch Mehrfachüberrundung sind nicht nur möglich, sondern auch gewollt. In Bezug auf die Siegpunkte ist es also latent unübersichtlich. Auch lässt sich der eigene Spielzug nicht perfekt vorbereiten, da die eigenen Möglichkeiten – insbesondere was den Bau der Gebäude angeht – stark von den Mitspieler*innen abhängen. So kann es vorkommen, dass ich mir mehrere Optionen überlege, diese aber alle von den Mitspieler*innen belegt werden. Dann gilt es erstmal wieder einen Überblick über die verfügbaren Optionen und Bewohner*innen zu erlangen, was den Spielfluss hemmt.  

Lässt sich das verschmerzen, kommt leider noch der zweite Faktor hinzu. Ich bin enttäuscht über das verschenkte Potential. Dass man verschiedene Bewohner*innen einsetzen muss, hätte aus meiner Sicht sehr viel Spannung erzeugen können. Wie gerne hätte ich in jeder Runde voller Spannung und Hoffnung in den Beutel gegriffen, um die richtigen Farben herauszubefördern und dann meine Taktik weiter umzusetzen. Bedauerlicherweise ist es bei nur drei Farben jedoch fast egal, was man zieht. Das Bauen der Häuser ergibt unabhängig von den Bürger*innen gleich viele Punkte und die mit ihnen verbundenen Sonderaktionen fallen im allgemeinen Punkteregen nicht allzu stark ins Gewicht. Gleiches gilt für die Cerdà-Leiste und die Zwischenwertungen, bei denen die Leiste als Multiplikator verwendet wird. Ja, man kann hier einige Punkte holen, aber letztendlich ist es viel einfacher sich auf Endsiegpunkte zu fokussieren. Spaß gehabt hätte ich auch an einem tollen Tableau-Builder, der mich mit guten Effekten belohnt, wenn ich etwas freischalte. Doch auch hier geht es eigentlich nur darum, dass ich am Ende ein paar Siegpunkte mehr ausschütte. 

Am Ende läuft also alles nur auf das Ende zu, was sehr viel von der Spannung während des Spiels herausnimmt. Durch die Kramer-Leiste suggeriert das Spiel aber etwas anderes.  

Was mich zu meinem letzten halben Faktor bringt. Die Unübersichtlichkeit bei den Siegpunkten trifft leider auch auf das Spiel insgesamt zu. Ich spiele selbst primär Spiele im gehobenen Kenner- und Expert*innenniveau, habe also keine Probleme mit komplexen Spielen. Die Vielzahl an Mechaniken und Verknüpfungen sind für ein Spiel im Kennerspielbereich aus meiner Sicht aber zu viel. Es verliert dadurch viel von seiner Leichtigkeit und weist nicht die vielbeschworene Eleganz im Spieldesign auf, die wir als Kritiker oft suchen. 

Transparenzhinweis

Für diese Rezension stand ein vergünstigtes Rezensionsexemplar zur Verfügung, welches dem Ministerium ohne Auflagen vom Verlag (Giant Roc) übermittelt worden ist. Dies hat keinen Einfluss auf die Rezension. 

Abschließende Bewertung des Ministeriums

„Barcelona ist ein hübsches Spiel mit einer guten Grundmechanik. Leider verschenkt es jedoch viel von seinem Potential und verliert sich im verwässernden Punkteregen. Darum ist es aus meiner Sicht auch ‚nur‘ ein guter, aber keinesfalls ein herausragender Titel. Vielleicht wird es aber ja durch die kommende Erweiterung etwas besser.“
Johannes
Brettspielminister

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