Über das Spiel
- Erschienen bei HUCH!
- Autor*innen: Vlaada Chvátil
- BGG-Wertung: 6,9 | Weight: 2,20 | Spieler*innenanzahl: 1-5
Spurensuche
Die Comicreihe RYCHLÉ ŠÍPY („Die Schnellen Pfeile“) des Autors JAROSLAV FOGLAR genießt in Tschechien Kultstatus. Auch der ebenfalls tschechische Brettspielautor VLADAA CHVÁTIL, dessen breit aufgestellte Œuvre von CODENAMES bis MAGE KNIGHT bestens bekannt ist, scheint Anhänger der Reihe zu sein. Er widmet ihr mit SEVERTON ein eigenes Spiel.
Laut Verlag findet das Spiel in einem fiktiven Stadtteil des alten Prags statt, der als namensgebend gilt. Dies geschieht, obwohl FOGLAR nie bestätigt hat, dass es sich um Prag handelt. Diese Ungenauigkeit dürfte den meisten deutschsprachigen Käufer*innen ohnehin nicht auffallen: Der Comic ist hierzulande weitestgehend unbekannt und Informationen sind spärlich. Zwar liefert das Szenarioheft des Spiels auf drei Seiten kleinere Einblicke, doch scheint mir die Übersetzung nicht überall präzise zu sein. Ebenso ist die Website, die ich per abgedrucktem QR-Code ansteuern könnte, nicht verfügbar.
Die Jugendbande, die „Die Schnellen Pfeile“ genannt wird, stelle ich mir ohne Vorlagenwissen wie die tschechische Version der FÜNF FREUNDE von ENID BLYTON oder eine ähnliche Jugendbande aus dieser Zeit vor. Glücklicherweise jedoch ohne den Rassismus, den BLYTON transportiert. FOGLARs Bestreben war es, Tugenden wie Hilfsbereitschaft zu vermitteln, was sich in den Geschichten, die kleine Alltagsabenteuer darstellen, niederschlägt (JIRASEK 2019). Das Spiel gibt die Story der Comics im Groben wieder, verzichtet jedoch auf die chronologische Reihenfolge. Die Gruppe Vonts stellt dabei den Hauptwidersacher im Spiel sowie den größten Konkurrenten der Schnellen Pfeile dar.
In den Gassen von Severton
Mit meinen Mitspieler*innen bilde ich eine Gruppe aus fünf jugendlichen Charakteren. Jeder Charakter darf sich pro Runde bis zu zwei Felder weit bewegen. Hierzu müssen farblich passende Handkarten abgeworfen werden. Daneben steht mir die Aktion Erkundung zur Verfügung, mit der Geheimgänge aufgedeckt und VONTS ausgekundschaftet werden können. Diese stehen auf dem Spielplan und schränken meinen Bewegungsradius beträchtlich ein. War ich am Zug, bewegen sich die Vonts.
Begegnungen sind zu vermeiden. Kommt es dennoch dazu, gibt es drei Arten von Proben: Kampf, Verstecken und Überzeugen. Kampf und Überzeugen werden als Gruppenprobe erledigt, indem alle Charaktere auf dem Feld Karten abwerfen, bis ein Schwellenwert benötigter Symbole erreicht wird. Das Verstecken ist individuell und muss für jeden beteiligten Charakter geschehen.
Ein Gewinn der Probe vertreibt die Gegner zunächst; spätestens am Ende der Runde kehren sie jedoch aufs Spielbrett zurück. Verliert mindestens ein Charakter die Probe, muss er oder sie zurück aufs Startfeld und zieht am Ende der Runde keine Handkarten nach. Schlimmer wiegt aber der Umstand, dass die Zeit schneller abläuft: Der Unruhe-Marker auf der Unruhe-Leiste muss nach vorne bewegt werden. Erreicht der Unruhe-Marker das Ende der Leiste, bevor der Schnelle-Pfeile-Marker auf der danebenliegenden Fortschrittsleiste zum Ende kommt, ist das Szenario verloren. Ist das Verhältnis umgekehrt, gewinnen wir.
Reflektionen in der Nacht
Eine Karte, über die sich bewegt werden muss, Truppen, die eine Gefahr darstellen und Karten, die für Aktionen und Bewegungen verwendet werden. Der Vergleich zwischen SEVERTON und PANDEMIC drängt sich auf. Doch wo PANDEMIC die kalkulierte Eskalation zur Triebfeder des Spiels macht, dreht sich das Spielgefühl in SEVERTON fast ausschließlich um Vermeidung. Auch strategische Entscheidungen dienen vorrangig diesem Zweck. PANDEMIC eskaliert durch den Zuwachs an Gefahren. Dies ist bei SEVERTON ähnlich, wo mehr Truppen ins Spiel kommen. Dennoch fühlt sich der Rundenverlauf gleichförmiger an. Exponentielles Wachstum, wie bei PANDEMIC, gibt es auf dem kleinen Plan nicht. Und auch das strategische Element, das PANDEMIC durchs Kartenzählen einführt, fehlt.
Der größte Unterschied liegt jedoch in den vorgegebenen Zielen jedes Szenarios. Je nach Aufbau kommen diese in einer bestimmten Reihenfolge oder zufällig ins Spiel. Immer jedoch bieten sie Abwechslung. Mal muss ich mit Charakteren zu bestimmten Punkten in bestimmten Reihenfolgen gehen, mal Geheimgänge durchschreiten oder Proben erledigen. Alles ist in ein zum Szenario passendes Thema eingebettet.
Von diesen enthält SEVERTON bei Auslieferung fünf Stück. Auch Mechanismen kommen im Spielverlauf hinzu. Überhaupt scheinen mir die ersten Szenarien nur ein versteckter Tutorialmodus zu sein. Im ersten Szenario wird zum Beispiel primär die Bewegung über den Plan erlernt. Erst ab Szenario 3 wird das Spiel für mich interessanter, da es ab dann genügend mechanischen Unterbau hat. Mit Szenario 5 erhalte ich schließlich das komplette Spielgefühl.
Ich verstehe, dass Autor und Verlag einen einfachen Einstieg ermöglichen wollten. Die Anleitung weist darauf hin, erst dann zu den folgenden Szenarien überzugehen, wenn die vorherigen geschafft wurden. Auf der anderen Seite bin ich davon überzeugt, dass das Spiel insbesondere in der Vielspielerszene einige Personen durch das nicht als solches herausgestellte Tutorial frühzeitig abschreiben werden. In Szenario 1 wird bei Weitem nicht so viel Spiel geboten wie in Szenario 5. Modularen Aufbauten stehe ich aber grundsätzlich eher skeptisch gegenüber. Ich möchte ein Spiel so erleben, wie es sich der*die Autor*in idealerweise erdacht hat, und nicht selbst daran herumschrauben, bis es zu mir passt.
Ist mir das Spiel auch mit mehr Mechanik nicht schwer genug, kann ich den Schwierigkeitsgrad anpassen. Hierzu liegen für jedes Szenario zwei doppelseitige Planteile bereit, auf denen die beiden Leisten für den Zeitablauf abgedruckt sind. Mit höherem Schwierigkeitsgrad verkürzt sich im Wesentlichen die Zeit, die mir zur Erledigung der Ziele zur Verfügung steht. Ferner kommen meist schneller mehr schwerere Gegner ins Spiel.
Da ich, wie eingangs bemerkt, die Comics nicht kenne, kann ich nicht bewerten, wie gut die atmosphärische Passung zum Originalplot ist. Auf sich allein gestellt hat mir die Erzählstruktur des Spiels aber gefallen. Ich komme gut in die Welt hinein, verstehe, was Vonts sind, und auch die Abenteuer ergeben Sinn. Einen begrüßenswerten Bruch gibt es bei den Charakteren, denn obwohl die schnellen Pfeile im Original nur aus Jungen bestanden, sind alle Charaktere sowohl als männliche als auch als weibliche Versionen vorhanden.
Spiele ich mit weniger als fünf Mitspieler*innen, hat eine Person einen Doppelcharakter. Zu zweit steuert so eine Person einen Charakter, eine Person den Doppelcharakter und die übrigen beiden Charaktere werden gemeinsam benutzt. Auf diese Weise muss das Spiel nicht für Spieleranzahlen skaliert werden. Es gibt für mich aber auch kaum Grund, es mit mehr Personen auszuprobieren. Die individuelle Spielerfahrung wird dadurch nur limitiert. Leider versäumt die ansonsten solide Anleitung an mehreren Stellen auszuführen, wie mit den neu eingeführten Mechanismen bei den gemeinsam gespielten Charakteren verfahren wird. So gibt es zum Beispiel individuelle Aufgaben, die eigentlich geheim gehalten werden sollten. Ich habe es jetzt so gespielt, dass auch die gemeinsamen Charaktere offene Aufträge bekommen haben. Aber ob das richtig war… Zumindest hat es funktioniert.
Das Material des Spiels finde ich im Großen und Ganzen ansprechend. So richtig stört mich nur, dass die blauen Aufgaben mit lila Würfeln daherkommen. Spätestens mit Szenario 5 muss zudem schon einiges an Material sortiert werden, bevor ich mit dem Aufbau einsteigen kann. Die Symbolsprache ist gelungen.
Trotz des insgesamt soliden Fundaments auf mechanischer und narrativer Ebene stellt sich keine Begeisterung ein. Der Kern des Problems: Die Partie verkommt oft zur reinen Vermeidungsstrategie – dem Umgehen der Vonts auf einem beengten Plan. Echte Aktion, die sich auch wie so eine anfühlt, habe ich selten; am ehesten noch bei Begegnungen. Doch auch diese gilt es zu vermeiden. Spannung entsteht vorrangig durch die Bedrohung der Zeit. Ob ich diese auf den höheren Szenarien schlagen kann, hängt wiederum stark vom Kartenglück ab. Eine Kartentauschaktion, die noch einmal die taktischen Möglichkeiten erhöht hätte, habe ich in unseren Partien oft sehr vermisst. Die Charaktere sind zwar asymmetrisch gestaltet, bringen aber ebenfalls keine echte Spezialisierung mit. Und dann ist da noch die Sache mit dem zu langen Tutorialmodus. Immerhin: Sind alle Szenarien gemeistert, bietet sich mit jeder Partie eine neue Zusammensetzung der Herausforderungen. Nur fehlte mir danach irgendwie die Lust auf weitere Partien.
Abschließende Bewertung
Transparenzhinweis
Für diese Rezension stand mir ein kostenfreies Rezensionsexemplar zur Verfügung, das mir ohne Auflagen vom Verlag übermittelt wurde. Für die stilistischen Überarbeitungsschritte sowie das Lektorat kamen nach der Erstellung der Rohfassung KI-Tools zum Einsatz. Die Rezension, ihre Argumentation und alle Bewertungen wurden eigenständig verfasst.