Home RezensionenFrosthaven – Der König ist tot, es lebe der König?!

Frosthaven – Der König ist tot, es lebe der König?!

von Johannes

Über das Spiel

Spielbericht

Die Reise war lang und beschwerlich. Nur mit Lumpen bekleidet stürzten wir uns ins Abenteuer und wurden im Verlauf immer mächtiger. Nun, nach über 80 Partien, ist es aber soweit: Nach 1,5 Durchläufen GLOOMHAVEN – PRANKEN DES LÖWEN, GLOOMHAVEN sowie der für uns furchtbaren Erweiterung GLOOMHAVEN – FORGOTTEN CIRCLES haben wir auch FROSTHAVEN zu einem Ende gebracht. Erschöpft, aber auch sehr zufrieden blicken wir auf großartige Erinnerungen zurück – und diese vergleichsweise kurze Rezension. Da es unmöglich ist, alle Facetten des Spiels umfassend darzustellen, fokussiere ich mich auf die aus meiner Sicht bemerkenswertesten Aspekte.

Auf zum Außenposten

FROSTHAVEN ist untrennbar mit seinem Vorgänger GLOOMHAVEN verbunden. Letzteres war lange Zeit bei BOARDGAMEGEEK auf Platz 1 und löste eine Kickstarter-Euphorie aus, die erst etwa zehn Jahre später – unter anderem durch steuerliche Unsicherheiten in den USA – nachließ. Viele Verlage hielten es damals für unmöglich, ein derart opulentes Spiel massenhaft zu vertreiben. Dennoch erzielte der erste Kickstarter beeindruckende 385.000 USD; der zweite Durchlauf steigerte sich auf fast 4 Millionen USD. FROSTHAVEN übertraf diese Summe gar und sammelte beachtliche 12 Millionen USD ein. Offensichtlich spricht die Reihe ein tief verwurzeltes Bedürfnis der Spieler*innen nach einem Spiel der Superlative an – eine Faszination, die auch mich in ihren Bann gezogen hat.

Die Reihe ist kein klassischer Dungeon-Crawler. Statt der üblichen Würfelorgien wird die Aktionsauswahl über einen Kartenmechanismus gesteuert. Die Kartenwerte werden zwar durch ein Modifikatordeck beeinflusst, jedoch erlangt man mit dem Fortschritt des Charakters zunehmend Kontrolle über dieses Deck. Jede Runde läuft im Prinzip gleich ab: Zwei Karten werden ausgewählt, wobei bei einer die obere und bei der anderen die untere Hälfte genutzt wird. Die obere Hälfte beinhaltet meist Kampfaktionen, die untere Bewegung. Die Initiativwerte der Karten bestimmen die Zugreihenfolge, die Gegner folgen ebenfalls variierenden Initiativwerten. Mit der Zeit lernt man, die Gegnerklassen einzuschätzen und die Kartenwahl darauf abzustimmen. Sind keine Karten mehr verfügbar, muss man rasten – was den Abwurf einer Karte erzwingt und somit die Lebenszeit des Charakters im Spiel symbolisiert. Erschöpft man alle Handkarten, scheidet man aus der Partie aus.

FROSTHAVEN präsentiert sich als Dungeon-Crawler im Gewand eines Eurogames. Die Einfluss- und Anpassungsmöglichkeiten sind enorm, weshalb die Reihe gelegentlich auch als Legacy-Spiel bezeichnet wird. Entscheidungen schließen dabei alternative Wege aus; Szenarien können in verschiedene Richtungen verlaufen, sodass eine einzelne Kampagne nicht alle Möglichkeiten abdeckt. Doch mit 70 bis über 100 Szenarien pro Kampagne ist die Langzeitmotivation enorm – viele Spieler*innen werden diese Anzahl ohnehin nicht vollständig erleben.

Ein zentrales Element ist die Charakterprogression: Erfahrungspunkte ermöglichen ein Aufsteigen und dadurch wachsende Macht. Diese spiegelt sich neben Lebenspunkten vor allem in der Anpassung des Fertigkeitendecks wider, das individuell gestaltet werden kann. So lassen sich Charaktere vielfältig und ganz nach persönlichen Vorlieben spielen – was Computerspielvorbildern kaum nachsteht. Besonders bemerkenswert ist, dass ein Charakter im Verlauf der Kampagne in Rente geht, sobald seine Lebensziele erreicht sind, und ein neuer Held in die Kampagne startet. Dieses Wechselspiel zwischen Freude am Neuanfang und Wehmut über den Abschied eines vertrauten Charakters sorgte bei uns oft für emotionale Momente. Nicht selten versuchten wir daher, die Rente hinauszuzögern, und die Lieder auf vergangene Helden hallten noch lange nach.

Der Rest ist – für Genrekenner – vertraute Kost: looten, leveln, Gegner besiegen. Dennoch hat FROSTHAVEN im Vergleich zum Vorgänger die Variabilität der Szenarien deutlich erhöht. Wo bei GLOOMHAVEN noch häufig das klassische Ziel „Töte alle Gegner und entkomme“ dominierte, bieten die Szenarien in FROSTHAVEN eine größere Vielfalt. Mal gilt es, Gegenstände zu sammeln, mal einen Bosskampf zu bestehen oder Begleitszenarien zu absolvieren. Auch Flucht- oder Überlebensszenarien sind vertreten, was die Abwechslung spürbar steigert und mir sehr gut gefallen hat.

Das gut aufbereitete Szenarienheft erleichtert die Vorbereitung, da alle benötigten Teile klar angegeben sind. Die Fortschritte werden mittels Begleitheft verfolgt, in dem man Nummern nachschlägt und Texte vorliest, um das Szenario weiterzutreiben. Vor den Szenarien liest man fast immer ein Wegereignis, das die Geschichte beeinflusst. Im Anschluss folgt die Außenpostenphase – und hier liegt für mich ein erheblicher Schwachpunkt von FROSTHAVEN.

Die Außenpostenphase verlangt umfangreiche Verwaltung: Ereignisse abhandeln, Aufkleber kleben, Ressourcen umrechnen und Gebäude errichten, welche den Außenposten verschönern und neue Szenarien sowie Charakterklassen freischalten. Dies ist ausgesprochen zeitintensiv und wenig intuitiv. Häufig warteten die Mitspieler*innen schon mit dem Abbau oder Unterhaltungen, während ich noch mit der Verwaltung beschäftigt war. Das wird durch die Verbreiterung der Ressourcen – Kräuter, Geld und verschiedene Materialien – weiter erschwert. Kräuter dienen zur Trankherstellung, Materialien zum Gegenstandsbau und Geld für Verbesserungen. Zwar ist dieses System theoretisch sinnvoll, führte bei uns aber zu einem erheblichen Zeitaufwand.

Bereits nach einem Drittel der Kampagne haben wir daher die Außenpostenphase komplett ausgelassen und uns stattdessen eines Szenario- und Freischaltungsguides von BOARDGAMEGEEK bedient. Gleiches gilt für das kleine Rätselbuch, das zum Freischalten einiger Szenarien nötig ist. Obwohl ich Escape-Spiele liebe, empfand ich die Rätsel als störend und eher belastend.

Im weiteren Verlauf der Kampagne erschwert die Vielzahl an Regeln und versteckten Mechaniken die Übersicht. Eine Checkliste ist zwar sinnvoll, aber schwer zu realisieren, wenn viele Komponenten legacy-basiert und an Gebäude gekoppelt sind. Ich bewundere den Umfang von FROSTHAVEN, glaube jedoch, dass dieser Umfang für unsere Gruppe eher hinderlich war. Unser Fokus lag auf dem Erleben der Szenarien – nicht auf maximaler Freiheit und Komplexität.

In beiden Spielen empfand ich zudem die Storyentwicklung als schwach. Die Haupt- und Nebenstränge sind zwar interessant und in FROSTHAVEN etwas besser ausgearbeitet, doch das Spiel ist so konzipiert, dass zusammengehörende Storyabschnitte selten direkt nacheinander gespielt werden können. Dies liegt auch daran, dass im Kampagnenbogen Zeit vergehen muss, bevor manche Szenarien freigeschaltet werden. In Verbindung mit der tatsächlichen Spieldauer liegen oft mehrere Wochen zwischen inhaltlich verbundenen Szenarien, was die Erinnerung an die Geschichte erschwert. Dadurch wirkt die Erzählung manchmal fragmentiert, was das Eintauchen in die Welt mindert. Ein stringenterer Ablauf würde das Spielerlebnis deutlich verbessern und auch den feinen Humor der NPCs und Dialoge stärker zur Geltung bringen.

Besonders hervorzuheben ist hingegen die Vielfalt der 17 Charakterklassen. In unserem Durchlauf kamen die meisten zum Einsatz, und alle waren auf ihre Weise interessant und einzigartig im Mechanismus. Hier gebührt ISAAC CHILDRES und seinem Team höchste Anerkennung. Ebenso gilt das für das Gegnerdesign. In Bezug auf Charaktere, Gegner und Szenarien verdient FROSTHAVEN ohne Zweifel die Krone unter den Dungeoncrawlern. Gerne würde ich jetzt noch mehr zu einzelnen Szenarien, Klassen oder Storyelementen verraten. Das wäre aber gespoilered. Solltet ihr noch keine Erfahrungen mit den Spielen haben, schaut euch zuerst GLOOMHAVEN – PRANKEN DES LÖWEN an. Danach liegt euch die ganze Welt von HAVEN zu füßen.

Abschließende Bewertung des Ministeriums

„FROSTHAVEN ist im Vergleich zu GLOOMHAVEN deutlich mehr: mehr Szenarien, mehr Story, mehr Abwechslung – und leider auch mehr Verwaltung. Wäre das Spiel nicht so überfrachtet, wäre ich vollends überzeugt. So bleibt ein kleiner Abzug in der B-Note bei einem ansonsten nahezu perfekten Erlebnis. Der König ist tot, es lebe der neue König der Dungeoncrawler!“
Johannes
Brettspielminister

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