Einleitung
Dass der Sänger der Band SALTATIO MORTIS das Gesicht der SPIEL ESSEN 2024 werden würde, sorgte innerhalb der Brettspielszene zunächst für gemischte Reaktionen. Passt die martialische Musik der Band und das Wikinger-Cosplay (das tatsächlich ein Cosplay von Geralt aus The Witcher 3 ist) wirklich zur SPIEL ESSEN? Welchen Mehrwert bringt das?
Mit etwas Abstand kann gesagt werden: Es hat zumindest nicht geschadet. Die Messe hatte von Anfang an betont, dass die Bandmitglieder selbst Spieler sind und so auch neue Besucher angezogen werden könnten (Quelle). Die SPIEL ESSEN war ausgebucht, und vielleicht sorgte die musikalische Note sogar für ein bunteres Publikum. Als Fan von Mittelalterrock fand ich die Verknüpfung ohnehin spannend, und meine Frau, die von der Musik und Band noch begeisterter ist als ich, hat einen ganzen Tag mit der FINSTERWACHT verbracht.
FINSTERWACHT ist nicht nur der Titel des aktuellen Albums von SALTATIO MORTIS, sondern ein umfassendes Projekt: Neben dem Konzeptalbum gibt es einen Roman und ein Rollenspiel-Abenteuer. Auf Letzteres gehe ich hier ein.
Auch ich beschreite damit neue Wege. Es ist das erste Mal, dass ich ein Rollenspiel bespreche. Bitte habt Nachsicht mit mir.
Von Brett- und Rollenspielen
Als Minister für Brettspielspaß scheint es mir deshalb wichtig, meine Expertise im Rollenspielbereich darzulegen. Und die ist gar nicht mal so groß. Ich bin seit circa zwei Jahren Teil einer monatlichen Rollenspielgruppe, die unter anderem aus unserer Dungeon Crawler-Gruppe besteht. Dort spielen wir vornehmlich One-Shots in Systemen wie CALL OF CTHULHU oder DREAD, es kam aber auch schon DUNGEONS & DRAGONS auf den Tisch. Ich muss aber auch gestehen, dass ich ein Brettspiel jederzeit einem Rollenspiel vorziehen würde. Der Funke schlägt bei mir nicht so sehr über, wenn es darum geht, ein Spielsystem selbstständig zum Leben zu erwecken. Ich mag das starre Gerüst von Brettspielen und das Gefühl, das entsteht, wenn ich merke, dass innerhalb des Systems ein Plan aufgeht. Instant Gratification durch Punkteregen. Beim Rollenspiel sitze ich hingegen gefühlt eher am Tisch und plaudere nett. Das ist ertragbar, für mich aber jetzt auch nicht das größte Amüsement, obwohl ich mich als sehr extrovertiert bezeichnen würde. Bitte, liebe Rollenspieler*innen, hasst mich dafür nicht. Bei meiner Frau ist es aber andersherum und so ging ich auch ihr zuliebe darauf ein, das Rollenspiel bei der SPIEL mitzunehmen. Was man nicht alles für die Liebe macht.
Da es sich aber um eine Rezension handeln sollte, machte ich zur Vorbedingung, dass es bald auf den Tisch kommen müsste. Als es dann ans Regellernen ging, war wieder ich am Zug und so wurde ich vom Mitspieler zum Spielleiter. Und das zum allerersten Mal.
Meine ersten Schritte und Erfahrungen als Spielleiter
Als Spielleiter ist es meine Aufgabe, die Regeln des Spiels zu kennen und die Mitspieler*innen durch die Welt des Abenteuers zu lotsen. Ich darf mir auch Teile des Abenteuers ausdenken, wenn es nicht genau beschrieben ist, oder thematisch sinnvolle Dinge hinzudichten. The Rules are the rules. Aber im Rollenspiel ist alles etwas flexibler. So kann ich auch mal etwas zum Vor- oder Nachteil meiner Mitspieler*innen anpassen. Alles, um denen und mir einen schönen Abend zu machen. Der Spaß steht im Vordergrund.
Trotzdem benötige ich als neuer Spielleiter, der insbesondere nicht mit DAS SCHWARZE AUGE vertraut ist, auf dem die FINSTERWACHT basiert, natürlich mehr Unterstützung als ein alter Hase. Hierfür müssen Regeln und Szenarien so gestaltet sein, dass sie leicht nachvollziehbar sind. Der „Prolog zum sofort losspielen“ verspricht einen leichten Einstieg, ohne vorher die Regeln zu lesen. Ich habe es trotzdem gemacht – sicher ist sicher. Der Einstieg war dann tatsächlich unkompliziert, und meine Gruppe bewegte sich ungefähr entlang der vorgesehenen Handlung. Völlig ohne Vorbereitung funktioniert es aber nicht. Macht aber nichts, die Hürde ist auch so klein genug.
Das liegt auch daran, dass das Spiel alles mitbringt, was es für die ersten Rollenspielabende benötigt: vorgefertigte, auf den Mitgliedern der Band basierende, Helden, 10 achtseitige Würfel (W8), einen Bodenplan und reichlich Pappmarker. Wer will und hat, kann letztere natürlich direkt durch Minis substituieren.
Fehlendes Weibsvolk und andere Vor- und Nachteile
Helden? Wird im Ministerium jetzt gar nicht mehr gegendered? Tatsächlich ist dies aus meiner Sicht eines der kleinen Probleme der Box. Es stehen ausschließlich Männer zur Auswahl. Der Grund ist klar: Die Held*innen sind den Mitgliedern der Band nachempfunden und die hat nun einmal keine Frauen. Und trotzdem: im Abenteuer kommen Frauen vor, auch diese bleiben aber eher stereotyp. Hier hätten die Autor*innen sicherlich noch etwas mehr herausholen können. Ansonsten sind die Helden aber vielfältig und dürften den meisten Präferenzen genügen. Die Charakterprogression wird über vorbereitete Sticker und das Ausmalen von Attributswerten gelöst, die dann im Falle von Proben ins Spiel kommen. Proben dürften auch den meisten Brettspieler*innen bekannt sein, wenn sie schon einmal ein Amitrash-Spiel gespielt haben. Bei diesen muss ich mit einem Würfel würfeln und dabei einen Schwellenwert erreichen. Tue ich das, gelingt die Probe und etwas Gutes passiert. Wenn nicht, nun, dann liegt es oft im Ermessen des*der Spielleiter*in, wie weiter verfahren wird, und das hängt wiederum davon ab, wie sich die Gruppe gerade so schlägt.
Apropos: Meine sehr erfahrene und kreative Gruppe hätte oft gerne Dinge gemacht, die von den sehr reduzierten Regeln nicht abgedeckt waren. Hier musste ich etwas improvisieren und habe dann einfach Proben auf unterschiedliche Dinge machen lassen. Mit echten Anfängergruppen dürfte das aber eher selten passieren. Mir ist zudem aufgefallen, dass in dieser DSA-Variante viel Wert auf Kampf und dessen Ausgestaltung gelegt wird. Rätsel oder Erkundungen stehen nicht so sehr im Fokus. DSA ist hier wohl ähnlich zu anderen älteren Systemen wie Dungeons & Dragons. Das sollte ich wissen, wenn ich mit der Box einsteige.
Storytechnisch handelt es sich bei der Box aus meiner Sicht um Standardkost aus dem Fantasy-Bereich: Wir sind Soldat*innen, die anlässlich eines wichtigen Festes ausziehen. Nach kurzer Zeit gibt es einen Überfall von Orks, bei dem auch eine Person verschleppt wird, und wir nehmen die Verfolgung auf. Gekämpft wird gegen Orks und Trolle, aber auch gegen Spinnen und anderes Getier. Die Charaktere haben Persönlichkeit, das meiste wird aber wohl durch die Kreativität der Gruppe befeuert.
Reicht mir meine Fantasie nicht aus, um gut in das Abenteuer zu kommen, dann bekomme ich in dieser Einsteigerbox vielfältige Unterstützung. SALTATIO MORTIS hat neben dem Konzeptalbum auch einen passenden Soundtrack extra für das Rollenspiel aufgenommen, der über YouTube (leider nicht aber über Spotify und Co) abrufbar ist. Möchte ich einen Teil der Geschichte des Rollenspiels noch einmal erleben, oder mich gebührend darauf vorbereiten, dann hilft der Directors Cut des gleichnamigen Liedes. Die Story, die im Spiel auf den Prolog und das Abenteuerbuch mit drei Akten aufgeteilt ist, hat mich in jedem Fall abgeholt und ich konnte mich gut darin zurechtfinden.
Kostenpflichtig, aber ebenfalls in der gleichen Welt spielend, ist ein (Hör-)Buch namens DIE FEUER DER FINSTERWACHT verfügbar. Und bin ich einmal fertig mit der Einstiegsbox, dann habe ich vielleicht Lust auf das DSA-Szenario DER LETZTE SIEG DER SCHWÄNIN. Reicht mir das immer noch nicht, dann gibt es Merchandising von Bierhumpen über Klemmbausteinsets (nur mit der FEUER UND ERZ-Edition des Albums) bis zu Miniaturen der Helden der FINSTERWACHT.
Meine Gruppe und mich wird es aber wohl nicht weiter hineinziehen, auch wenn ich Spaß am erstmaligen Leiten in dieser Box hatte. Uns ist DSA schlicht und ergreifend zu kampflastig. Das ist aber Geschmackssache.
Transparenzhinweis
Für diese Rezension stand mir ein kostenfreies Rezensionsexemplar zur Verfügung, welches mir ohne Auflagen vom Verlag übermittelt worden ist.
Abschließende Bewertung des Ministeriums
