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Great Western Trail – eine Liebeserklärung an 3,5 Spiele und eine Erweiterung

von Johannes
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Über das Spiel

 

Vorwort

Braucht Great Western Trail wirklich noch eine weitere Rezension, von denen es ja schon mehr als genügend geben sollte? Vielleicht nicht. Allerdings konnte ich bei meiner Recherche nur wenige Vergleiche der Spiele finden und deshalb widme ich mich ebenfalls einem meiner (Achtung: Spoiler!) Lieblingstitel. Falls ihr auch an anderen Meinungen interessiert seid, so kann ich insbesondere die folgenden Artikel ans Herz legen:

Entstehungsgeschichte und Spielreiz

Great Western Trail ist, soweit wahrscheinlich den meisten bekannt, nicht nur ein Titel, sondern eine ganze Spielereihe, die ihren Anfang im Jahr 2016 mit Great Western Trail (erste Edition) fand. Schon damals kam das Spiel, in dem Rinderherden von Texas nach Kansas getrieben werden, sehr gut in der Community an und findet sich auch heute noch mit einer Bewertung von 8,2 auf Rang 15 der BGG-Charts. Möglich gemacht wird dies durch ein Spielprinzip, was auch bei den Lacerda-Titeln regelmäßig sehr gut bei den Expert*innenspieler*innen ankommt: die Spieler*innen steuern sich selber als einzelne Meeples über einen Track, auf dem sie dann – je nachdem wie weit sie gehen – unterschiedliche Aktionen auslösen können. Dabei geht es stets nur voran, bevor sie in einer Stadt ankommen und schließlich wieder den Treck von vorne beginnen müssen. Zu den Aktionen gehört es Karten (Rinder) gegen Geld zu tauschen, Gebäude mit neuen Aktionen zu bauen, die individuelle Zugstrecke voranzutreiben, oder auf dem Rindermarkt neue Rinder zu erwerben. Diese Rinder haben eine unterschiedliche Wertigkeit sowohl in Bezug auf die Siegpunkte als auch den sogenannten „Rinderzuchtwert“, der bestimmt, in welche Stadt die Ware am Ende geliefert werden kann. Jede Stadt nimmt jede Lieferhöhe dabei nur einmal an, was die Spieler*innen ein wenig unter Druck setzt das eigene Rindertableau möglichst gut auszubauen. Denn auch Deckbuilding ist ein Element, welches bei Great Western Trail wichtig ist. Und auch das dürfte letztendlich ein weiterer Grund sein, der den Erfolg von Great Western Trail begründet: Die von Alexander Pfister geschickt angelegte Verbindung zweiter populärer Mechanismen, die auch in den Nachfolgejahren immer wieder Titel erzeugt hat, die in der Community gut ankamen (beispielsweise „Dune: Imperium“ (2020), oder „Die verlorenen Ruinen von Arnak“ (2020)).

Nun soll aber keineswegs der Eindruck entstehen, dass es nur auf die Rinder und deren Kauf ankommt, denn auch der Fokus auf Gebäudebau und das Vorantreiben des Schienennetzes sind valide Taktiken und am Ende wird die Person siegreich sein, welche ihre eigene Spielweise auf das Gesamtgeschehen am besten anpasst und zwischen den Möglichkeiten einen Ausgleich schafft.

Von der ersten zur zweiten Edition

2021 erschien fünf Jahre nach der ersten Edition dann eine neue überarbeite Version des Spiels. Monetäre Gründe mögen hierfür genauso eine Rolle gespielt haben, wie die Vertriebsstruktur der beteiligten Verlage und interne Rechterochaden. Viel wichtiger empfinde ich jedoch, dass mit der Überarbeitung auch wichtige Änderungen im Design einhergingen. In der ersten Version konnten die Spieler*innen nämlich noch mit „Indianern“ handeln. Abgesehen davon, dass es keinen gleichrangigen Handel zwischen Siedlern/Cowboys und indigenen Völkern nicht stattfand, ist die unreflektierte Übernahme des Begriffs Indianer problematisch, handelt es sich doch um einen Sammelbegriff für eine ganze Reihe sehr unterschiedlicher indigener Volksgruppen auf dem amerikanischen Kontinent. Das Spiel reproduzierte damit auch die Stereotype, die, geprägt durch den Lügner Karl May, in der Bevölkerung auch heute noch weit verbreitet sind. Gerne hätte ich hier an dieser Stelle eine Karikatur von Hauk & Bauer eingebunden. Ich fürchte aber die juristischen Fallstricke. In jedem Fall umgeht die zweite Edition dieses Problem, in dem sie nicht mehr handeln lässt. Stattdessen kämpfen die Spieler*innen nun gegen Banditen. Das ist zwar etwas martialischer, passt aber auch besser zum Spielgeschehen als der ungleiche Tausch. Und noch etwas erlaubte die Neugestaltung. Statt ein Spiel der alten weißen rauen Cowboys zu sein, erhält kulturelle Vielfalt eine Chance, sodass es nun auch weibliche und PoC im Spiel gibt. Gestalterisch gefällt mir persönlich aber auch ansonsten die zweite Edition besser als die erste: Das neue Cover versprüht einen Hauch von Abenteuer in den Weiten der Prärie, die Zeichnungen sind insgesamt etwas farbenfroher und zeitgemäßer. Und dann ist da doch die Sache mit den Dual-Layer-Boards, kleinen mechanischen Anpassungen, die Einführung eines Solo-Modus und einer Mini-Erweiterung, gegen die sowieso nichts einzuwenden ist. Alles in allem ist die zweite Edition aus meiner Sicht deshalb ein toller Schritt gewesen, der die erste Edition komplett überflüssig macht, zumal auch die Erweiterung „Rails to the North“ in 2022 erschien.

Rails to the North

Grundsätzlich mag ich Erweiterungen, die nicht nur mehr Material, sondern auch Änderungen im Spielprinzip mit sich bringen. Genauso eine Erweiterung ist „Rails to the North“. Wie der Name schon vorgibt, enthält die Erweiterung dabei primär einen Schienenplan, der oben an das Grundspiel angebaut wird. Dadurch ändern sich die Liefermöglichkeiten im Spiel und neue Bahnhöfe können erschlossen werden. Gleichzeitig rückt der Fokus noch ein wenig mehr vom Rindersammeln weg, was mehr taktische Tiefe erlaubt und auch mit mehr Variabilität insgesamt einhergeht. Für Fans des Grundspiels, die schon alles gesehen haben, ist die Erweiterung deshalb sicherlich vernünftig. Ich spiele aber auch „nur“ das Grundspiel weiterhin gerne, zumal ein paar der Veränderungen aus der Erweiterung in der ersten Edition nun schon im Grundspiel zweite Edition enthalten sind. Und wenn ich mehr Variation brauche, dann kann ich natürlich auch zum zweiten („Argentinien“) oder dritten Teil („Neuseeland“) der Trilogie greifen.

Argentinien

Noch etwas komplexer als mit der Erweiterung wird es nämlich bereits in Argentinien. Wie zuvor werden hier Rinder über eine Landschaft getrieben, um dann am Ende per Schiff statt per Bahn verschickt zu werden. Hinzu kommt Getreide als weitere im Auge zu behaltene Ressource und eine weitere Personengruppe. Ich muss an dieser Stelle jedoch gestehen, dass ich selbst Argentinien nach dem Erscheinen gespielt habe, aber seitdem Neuseeland herausgekommen ist, nicht mehr eines Blickes gewürdigt habe. Nicht falsch verstehen: der Teil ist auch großartig, aber Neuseeland noch einmal sehr viel besser. Deshalb fällt die Beschreibung von Argentinien auch nur kurz aus. Falls ihr trotzdem mehr darüber wissen möchtet, findet ihr ja oben eine entsprechende Rezension verlinkt.

Neuseeland – Der König ist tot, lang lebe der König!

Neuseeland bietet als Abschluss schließlich von allem mehr, jedoch keine Rinder. Stattdessen werden Schafe zum Ziel ihrer Bestimmung geführt. Der Schritt war dabei für Pfister so einfach, wie genial, denn statt als reine Fleischlieferanten zu dienen, haben Schafe quasi von Natur aus ein Dual-Purpose: sie geben nicht nur Fleisch, sondern auch Wolle. Der Clou ist nun, dass sich dies auch spielerisch abbilden lässt, in dem jedes Schaf auch einen Wollwert hat.  Die Spieler*innen können sich in Folge nicht nur dazu entschließen die Schafe am Ende zu verladen, sondern zwischendurch zum Schäfer zu bringen, was genau wie die Ablieferung am Ende Geld und auch freigeschaltete Punkte auf dem Tableau gibt. Wollwert und Zuchtwert sind dabei gegensätzlich, d.h. Schafe mit viel Wolle bringen eher weniger Zuchtwert ein und die Möglichkeit Schafe abzuliefern hängt davon ab, dass die Spieler*innen vorher Schäfer rekrutiert haben. Great Western Trail: Neuseeland zieht damit eine taktische Ebene mit ein, die das bestehende Konzept nicht nur erweitert, wie es bei Argentinien der Fall ist, sondern gibt diesem noch einen neuen Anstrich. Fast fühl man sich dabei auch an die Dual-Use-Karten aus Dune: Imperium erinnert, bei denen eine ähnliche Entscheidungssituation entsteht. Und noch etwas ist anders. So wurde der Deckbuilding-Aspekt durch offen ausliegende Bonuskarten noch weiter verstärkt, was ebenfalls das Spiel noch ein klein wenig runder macht. Hinzu kommt die freie Schiffsroute am Kopf des Spielplans, die ähnliche Tiefe wie „Rails to the North“ mit sich bringt und es entsteht das wirklich perfekte „Great Western Trail“-Erlebnis.

Wie so viele war ich zunächst skeptisch: Braucht es wirklich noch einen Teil? Danke Alexander Pfister, dass du uns eines Besseren belehrt hast.

Abschließende Bewertung des Ministeriums

„Eines dürfte klar sein: man muss natürlich alle Teile dieser Serie besitzen. Ist aber nicht genug Platz im Regal, dann reicht wahrscheinlich auch das Grand Finale: Neuseeland. Denn Neuseeland macht ein sehr gutes Spiel noch ein μ besser und ist damit für mich der krönende Abschluss der Serie.“
Johannes
Brettspielminister

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