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DER HERR DER RINGE: DAS SCHICKSAL DER GEMEINSCHAFT – (k)ein PANDEMIC-Spiel

von Johannes

Über das Spiel

Vorwort

MATT LEACOCK steht für mich wie kaum ein anderer Autor für monumentale Spielerzählungen. Seine PANDEMIC: LEGACY-Reihe (alle drei Teile) gehört für mich zu den besten Legacy-Spielen, die der Markt hervorgebracht hat. Mit der Legacy-Umsetzung von ZUG UM ZUG, die 2024 sogar für das KENNERSPIEL DES JAHRES nominiert wurde, setzte er sich ein weiteres Denkmal. Von ZIGGURAT war ich zuletzt allerdings etwas weniger überzeugt (meine Rezension).
Nun aber geht es zurück zu den Wurzeln: PANDEMIC. Das Spiel war 2009 zum SPIEL DES JAHRES nominiert und markierte zugleich MATT LEACOCKS Durchbruch als Spieledesigner. Bereits zum zweiten Mal nach PANDEMIC: SCHRECKENSHERRSCHAFT DES CTHULHU wird das bewährte System jetzt mit einer populären Marke verknüpft – diesmal mit nicht weniger als der geschützten IP DER HERR DER RINGE.

Spiele zu einer großen Lizenz sind oft kommerziell erfolgreich, aber inhaltlich nicht immer überzeugend. Dennoch bin ich bereit, ASMODEE hier einen Vertrauensvorschuss zu gewähren. Denn die letzten beiden Umsetzungen aus dem HERR DER RINGE-Universum habe ich als durchaus gelungen empfunden (siehe meine Rezensionen zu DER HERR DER RINGE: DUELL UM MITTELERDE und DER HERR DER RINGE: DIE GEFÄHRTEN – DAS STICHSPIEL).
Mit dem Thema selbst kann ich etwas anfangen. Ich mag die Geschichte, wenngleich ich sowohl das Buch als auch die Filme gelegentlich als langatmig empfand.

Mechanik und Thema – zwei Teile, eng verwoben

Wie funktioniert dieses Spiel? Nun, zuallererst baut es auf dem bekannten PANDEMIC-System auf. Das bedeutet, dass das Spiel durch zwei verschiedene Kartenmechanismen angetrieben wird. Zum einen sind die Handkarten, die ich habe, wichtig, um verschiedene Aktionen und Aufträge zu erledigen. Nachdem ich am Zug war, erhalte ich zwei neue Handkarten. Im Handkartenstapel befinden sich nicht nur positive, sondern auch eine bestimmte Anzahl negativer Karten. In diesem Spiel heißen diese „Der Himmel verdunkelt sich“. Sie verstärken die Bedrohung auf dem Spielplan, lassen die Hoffnung sinken und sorgen vor allem dafür, dass der Ablagestapel des zweiten Kartenstapels neu gemischt und wieder aufgelegt wird. Von diesem werden nämlich ebenfalls nach meinem Zug eine durch die Bedrohungshöhe vorgegebene Anzahl an Karten gezogen, die dann die gegnerischen Truppen ins Spiel bringen und diese bewegen. Im Vergleich zu bestehenden PANDEMIC-Spielen gibt es hier eine weitere Neuerung, die zusätzliche Spannung und Unberechenbarkeit ins Spiel bringt. Die Rückseiten der Regionskarten sind nicht einheitlich. Je nachdem, welche Rückseite die nächste Karte im Stapel zeigt, werden unterschiedliche Bereiche meiner gezogenen Karte aktiviert. Zeigt sie eine rote Flagge, dann marschieren die Orkhorden. Saurons Banner sorgt dafür, dass neue Truppen auftauchen oder Nazgûl ihre Verfolgung aufnehmen.

Kommen die Orks an Zufluchten an, die ungeschützt sind durch alliierte Truppen, oder reiben sie diese komplett auf, dann nehmen sie diese ein, wodurch meine Hoffnung ebenfalls fällt. Sinkt die Hoffnung auf null, dann habe ich verloren. Das tritt auch ein, wenn keine Handkarten mehr vorhanden sind, die ich für Aktionen einsetzen könnte.

Im Spiel steuert jede Person genau zwei Charaktere, die unterschiedliche Sonderfertigkeiten haben und teilweise Spezialisten für einen Aspekt des Spiels sind. Bitte an dieser Stelle nicht verwirren lassen. Manche Hobbits kommen als Pärchen und zählen nur als ein Charakter, zum Beispiel Frodo & Sam. Bin ich am Zug, dann darf ich mit einem der beiden Charaktere, die ich steuere, vier Aktionen machen und mit dem anderen nur eine.

Aktionen, die ich in diesem Spiel machen kann, sind etwa Bewegungen und das Rekrutieren von alliierten Truppen. Mit diesen kann ich die Ausbreitung der gegnerischen Truppen einschränken und Zufluchten zurückerobern, was aber weniger Hoffnung bringt, als durch den Verlust abgezogen wird.

So weit, so (zumindest ansatzweise) pandemisch. Wer jetzt aber meint, deshalb nur einen weiteren Ableger der Serie in den Händen zu halten, der irrt meiner Meinung nach gewaltig. Das Spiel bricht nämlich genau an dieser Stelle mit den Vorerfahrungen. Ging es bei Pandemie sonst immer darum – ja, auch in PANDEMIC – DER UNTERGANG ROMS – durch Ausspielen farblich passender Farben eine Reihe von Dingen zu bezwingen, gibt es in diesem Spiel variable Ziele, die auch weit über das hinausgehen, was zum Beispiel bei PANDEMIC LEGACY gefordert war.

Je nach gewählter Schwierigkeit kommen mehr Ziele hinzu. Für das Einsteiger*innenspiel werden bereits vier Ziele empfohlen. Ein Ziel, das in jedem Spiel vorhanden ist und das stets als allerletzte Aktion erledigt werden muss, ist – thematisch passend – die Zerstörung des einen Rings. Hierzu muss sich der Frodo & Sam-Charakter bis zum Schicksalsberg bewegen und dort fünf der zwölf im Spiel befindlichen Ringkarten abwerfen. Anschließend erfolgt noch ein Suche-Wurf, denn immer, wenn Frodo sich bewegt, erregt das die Aufmerksamkeit von Sarumans Schergen (Nazgûl und Truppen). Auch dies kann zum Verlust von Hoffnung führen und so manche unserer Partien ist genau an diesem Punkt gescheitert.

Auch die anderen Ziele sind thematisch eng mit der literarischen und filmischen Vorlage verbunden. Mal gilt es, als Gandalf der Graue den Balrog in den Minen von Moria zu bezwingen, wodurch Gandalf zunächst vom Spielbrett verschwindet und später dann als Gandalf der Weiße wiederkehrt. Mal muss ich Truppen rekrutieren und bekannte Schlachten nachspielen. Oder mithilfe von Gollum, der ebenfalls ein spielbarer Charakter ist, der Spinne Kankra in Minas Morgul entkommen. Das ganze Spiel trieft dabei von thematischen Rückkoppelungen. Welches Symbol muss wohl beim Eintritt nach Moria abgeworfen werden? Genau, es ist das Herz, denn „Mellon“, das elbische Wort für Freund, öffnete auch im Film das Tor.

Besonders elegant fügt sich auch das Auge Saurons ein. Dieses übt stetigen Druck auf mich aus. Meide ich Kämpfe, dann fällt der Blick Saurons auf Frodo, was die Nazgûl anlockt und bei Bewegungen meine Hoffnung schrumpfen lässt. Kämpfe ich aber zu viel, dann komme ich mit den Missionen nicht hinterher. Diese Balance erzeugt genau jene dramatische Spannung, die man aus den Büchern kennt.

Die Spielkarten selbst sind unten links nummeriert. Außer zur Bestimmung der Startperson hat dies keine spielerische Relevanz. Trotzdem sind es nicht einfach nur aufsteigende Nummern, sondern Zahlen zu Trivia aus dem Herr der Ringe-Universum, etwa bei der Nummer 131. So alt war Bilbo, „als er in den Westen segelte“. Oder „21 war die Nummer der Halle in Moria, die die Kammer von Mazarbul beherbergte“.

Ein Gefühl, das bleibt

Das Spiel hat alle Bestandteile, die einen PANDEMIC-Teil ausmachen. Aber es ist viel mehr als „nur“ ein weiterer PANDEMIC-Teil. Es ist größer, storytechnisch aufgeladener, monumentaler. Jede meiner knapp 10 bisherigen Partien hat eine ganz eigene Geschichte erzählt. Ich habe gezittert, wenn die Würfel fielen, und gehofft, doch endlich die richtigen Karten zu ziehen. Mal bewegten sich gegnerische Truppen zu meinen Gunsten, mal überrannten mich schlagartig Einheiten, die sich zuvor gar nicht bewegt hatten. Das Spiel ist für mich teilweise schwer kalkulierbar und ich habe weitaus mehr verloren als gewonnen. Und dennoch übt es einen unvergleichlichen Reiz auf mich aus. Ich glaube, dass hierzu im Wesentlichen die Ziele und die sehr unterschiedlichen Charaktere beitragen. War für mich bislang bei PANDEMIC immer klar, was zu tun ist, komme ich hier wirklich mit meinen Mitspieler*innen ins Gespräch über die richtige Strategie abseits einzelner Bedrohungsherde. Die Reihenfolge, in der einzelne Ereignisse abgehandelt werden, ist oft entscheidend. Auch bereits gewonnene Fronten können sich noch einmal verhärten.

Allerdings habe ich festgestellt, dass sich die Dynamik je nach Spielerzahl verändert. Während das Spiel zu zweit oder dritt sehr flüssig läuft und jeder spürbar Einfluss nehmen kann, wird es mit vier oder fünf Personen manchmal etwas zäher. Der individuelle Beitrag am Geschehen reduziert sich und oft dauert es lange, bis ich wieder am Zug bin, sodass das Spielbrett bereits ganz anders aussieht. Mehr als mitzudiskutieren und in seltenen Fällen mal eine Karte beizutragen, habe ich bis dahin nicht zu tun.

Unterstützt wird das Spielgefühl auch durch das hervorragende Material. Es gibt in der Luft fliegende Nazgûl, einen Würfelturm in Form des dunklen Turms Barad-dûr und tolle Zeichnungen auf allen Elementen. Verstaut wird das Spiel in einem weitgehend gelungenen Insert. Steht alles auf dem Tisch, dann bin ich schon direkt in der Geschichte. Allerdings darf ich mich nicht zu sehr mitreißen lassen, denn insbesondere die Nazgûl sind eigentlich etwas unpraktisch. Sie fallen gerne mal um. Und zu leicht sind die fummeligen kleinen Truppen über den Tisch gewischt. Bis zu diesem Punkt wäre ich geneigt, dem Spiel trotzdem 10 Punkte zu geben, für so gut halte ich es. Ich kann aber bei aller Begeisterung auch nicht umhin zu bemerken, dass manchmal etwas zu viel Zufall im Spiel ist. Hier hätte ich mir mehr Mitbestimmung im Spielgeschehen gewünscht, vielleicht durch andere, bessere, Ereigniskarten. Denn letztere habe ich allzu oft gar nicht als nützlich empfunden, wenn ich gerade auf eine passende Karte wartete.

Und das Spiel ist verdammt schwer. Vielleicht bin ich auch einfach nicht gut genug. Aber mir reicht schon die Erfahrung auf dem normalen Schwierigkeitsgrad, und trotzdem fällt oft genug die Welt von Mittelerde an das Böse.

Ein letzter kleiner Kritikpunkt zielt auf den Umstand ab, dass Frodo & Sam aufgrund der mit ihnen verknüpften Zielkarte in jeder Partie mit dabei sein müssen. Leider ist es aber in meinen Gruppen bislang so gewesen, dass diese auch gleichzeitig der unbeliebteste Charakter sind, denn oft geht mit ihnen alles sehr schleppend voran. Detailgetreu könnte man jetzt sagen, denn auch das empfand ich im Buch genauso, spielerisch hätte ich mir aber einen Ausweg gewünscht.

Transparenzhinweis

Für diese Rezension stand mir ein kostenfreies Rezensionsexemplar zur Verfügung, welches mir ohne Auflagen vom Verlag übermittelt worden ist.

Abschließende Bewertung des Ministeriums

„DER HERR DER RINGE: DAS SCHICKSAL DER GEMEINSCHAFT hebt für mich das Grundsystem auf ein neues Level. In jeder Partie erlebe ich die Geschichte von DER HERR DER RINGE neu. Das Spiel wird zu seiner eigenen Interpretation der literarischen Vorlage. Und ich konsumiere nicht nur, sondern bin als Frodo, Gandalf oder Eowyn selbst dabei. Da stören auch die etwas fummeligen Truppen und umfallende Nazgûl nicht. Ein grandioses Spielerlebnis und bereits jetzt eins meiner Highlights des Jahres. Kaum ein Spiel treibt mich so sehr dazu an, es immer und immer wieder neu zu probieren.“
Johannes
Brettspielminister

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