Einstieg in das Wochenende
Bereits zum vierten Mal hat der SPIEL DES JAHRES E.V. zum Tag der Brettspielkritik geladen. Ziel der Veranstaltung ist es, „Journalist:innen und Blogger:innen“ zusammenzubringen, „die sich unabhängig von Handel und Spieleverlagen in Schrift, Ton oder Bild mit dem Gesellschaftsspiel beschäftigen“ (SPIEL DES JAHRES 2025). In verschiedenen Workshops und Panels werden bei dieser Veranstaltung Themen diskutiert, die sich mit theoretischen und praktischen Aspekten der Brettspielkritik als Kulturkritik auseinandersetzen. Ich war bereits im letzten Jahr anwesend und in gewisser Weise ist der Tag der Brettspielkritik auch mitverantwortlich dafür, dass es mich von Instagram aus in die Welt der Blogs und Zeitschriften zog, wie ich damals schon schrieb. Die Erkenntnis, dass ich mehr wollte als nur Bilder und kurze Texte zu posten, reifte schon länger in mir – und brach nach dem Tag schließlich aus mir heraus. Nun, eineinhalb Jahre später, ist das Ganze noch erheblich größer, als ich damals geträumt hätte, und ich bin dankbar, auf diesen Weg gebracht worden zu sein. So bin ich auch in diesem Jahr gerne hingereist, obwohl die Distanz nach Berlin doch deutlich größer war, als nach Mannheim.
Eigentlich ist Tag der Brettspielkritik 2025 auch noch gar nicht zu Ende, als ich diese Zeilen schreibe, aber manchmal muss man ja gehen, wenn es am schönsten ist. Halt, das stimmt gar nicht. Die Wahrheit ist: Ich hatte schon vor der Ankündigung Konzerttickets gebucht, von denen ich nur die am Freitag schweren Herzens zurückgegeben habe, um zum Tag der Brettspielkritik fahren zu können. Jetzt sitze ich im Zug und habe bereits vor der Verleihung des SPIEL DES JAHRES 2025 Zeit, die Eindrücke des gestrigen Tages zu verarbeiten. Vielleicht mache ich dabei auch die Augen zu – das Wochenende war nämlich intensiv. Die Verleihung des SPIEL DES JAHRES verfolge ich dann ab 18:00 Uhr im Stream.
Wenn so viele begeisterte Spieler*innen zusammenkommen, dann wird am Rande der Veranstaltungen natürlich auch gespielt. Den Einstieg in den Tag der Brettspielkritik bildet deshalb traditionell ein Abendessen mit anschließendem Spieleabend. Während Frederik vom BOARDCAST bereits beim ersten Spiel verschied (DYING MESSAGE), habe ich mich retten können und spielte neue Titel wie das nächste T-Spiel TRANSGALACTICA und die HITSTER Rock-Variante mit. TRANSGALACTICA machte auf mich noch den Eindruck eines Prototypen und ich hoffe stark, dass sich dort noch einiges tut, bevor es mich erreicht. Noch wichtiger als das Spielen selbst ist allerdings aus meiner Sicht die Begegnung mit anderen Personen, die sich mit der Kritik an Brettspielen beschäftigen, um sich über verschiedene Fragestellungen auszutauschen. Hier bot der TAG DER BRETTSPIELKRITIK in diesem Jahr fast sogar ein zu straffes Programm, denn abseits der Panels blieb nicht allzu viel Zeit für Austausch. Ich weiß, dass dies auch externen Faktoren geschuldet war, aber vielleicht wäre es eine Idee für die Organisation, zumindest partiell Konferenzformate wie den fluiden OPEN SPACE auszutesten. Dies könnte auch im Hinblick auf Themen relevant sein, die bislang nicht im Kanon der Veranstaltung vorkommen – hierzu später mehr – verlangt aber auch von der Organisation, mit Ungewissheiten zu leben.
Mut machen
Mut ist generell ein Stichwort, was mich das Wochenende über begleitet. Zum Beispiel direkt im ersten Panel „Reviewing: Contemporay, Critical and Competent“. Hier gaben sich Tom Brewster (SHUT UP & SIT DOWN) und DANIEL WÜLLNER (SPIELBOX) die Ehre. Tom präsentierte die „Adam Sandler Theory of Board Game Journalism” und plädierte auf gewohnt charismatische Art und Weise dafür (schade, ich habe den Eindruck, dass sich diese Art aufgrund kultureller Unterschiede nicht nach Deutschland exportieren lässt), den Blick auf das große Ganze nicht zu verlieren und das Publikum auch einmal zu überraschen. Eine ähnliche These ging von Daniel aus, der dafür warb, die ungeschriebenen Regeln des Brettspiel-Journalismus zu dehnen, aber nicht die geschriebenen des Journalismus. Sprich sich kreativ zu verhalten und neue Wege zu bestreiten, ohne dafür immer nur die ausgetretenen Wege der mechanischen Beschreibung zu beschreiten. Aber natürlich alles im Rahmen des Pressekodex, der auch für Brettspieljournalisten natürlich gelte. Ich bin froh, dass ich hier Unterstützung meiner These aus dem letzten Jahr bekam: „Vielmehr scheint es mir so zu sein, dass Blogger*innen in der Brettspielszene am ehesten die Funktion von Journalist*innen übernehmen“ (Blumenberg 2024). Mit der Annahme des Begriffs des Journalisten geht aber auch einher, mögliche Interessenskonflikte klar zu benennen. Etwas, was in der Szene leider nicht immer geschieht, gerade, wenn es beispielsweise um Unboxing-Videos geht. Mir scheint, dass es weiterhin viel Unklarheit über die juristischen Vorbedingungen gibt, die unbedingt geklärt werden müssen.
Eine Rückkoppelung hierzu fand auch in der nachmittaglichen Podiumsdiskussion „Spieljournalismus – Wege und Themen, mit Andreas Becker, Harald Schrapers, Nico Wagner und Manuel Fritsch (Moderation)“ statt. Hier wurden wichtige Erkenntnisse aus den Arbeitsgruppen zusammengefasst und insbesondere das Thema Werbekennzeichnung noch einmal diskutiert. Wann ist etwas Werbung und wann Kritik und wie geschickt ist es von der SPIELBOX Cover und Rückseite als wichtigste Werbeflächen zu verwenden? Klar, bei der SPIELBOX gibt es eine Trennung zwischen Anzeige und Reaktion – ein Luxus, den sich kaum ein Content Creator leisten kann –, aber auch Andreas hält diese Werbemaßnahme für einen Fehler, der – in meiner Interpretation – dem Renommee der Zeitschrift schadet.
Auf der inhaltlichen Ebene unterstrich Harald noch einmal die Notwendigkeit, unmittelbare Erfahrungen in die Kritik einfließen zu lassen, was auch von den anderen Anwesenden unterstützt wurde. Brettspielkritik ist kein Produkttest, bei dem die wichtigsten Kennzahlen geprüft werden, sondern neben der Beschreibung der harten Fakten vor allem Beobachtung und Interpretation dessen, was Spiele mit Menschen machen. Wie viele Spülgänge hält ein Titel (Grüße an Jo France!)? Dies scheint doch etwas nebensächlich, wenn bereits einer stark begeistert, wie ich zuvor in einer Gruppendiskussion im Fach „Das Wichtige im Blick – Methoden zur Erstellung einer fokussierten Rezension“ bei Herrn Wagner erfahren hatte. Nicos Workshop bestand ansonsten primär aus Fingerübungen und Gruppenarbeiten und man merkte, dass er sehr routiniert in seiner Profession ist.
Harald hingegen, dessen Workshop „Neuland – Schritte zur fundierten Spielekritik“ ich im Anschluss besuchte, betonte zunächst, dass er lediglich ein Laie mit viel Erfahrung sei. Da aber gelte „Der Niederrheiner weiß nichts, kann aber alles erklären“, wie er Hanns Dieter Rüsch direkt auf der ersten Folie zitierte, schlug er dann mit bewusst mit mehr oder minder provokanten Thesen um sich. Mehr Mut wagen und Schema-F verlassen, stand dabei für mich auch hier im Fokus. Ich konnte mich im Großen und Ganzen anschließen (wie schon bei Nico), aber ich glaube, dass die Erinnerung an Einzelaspekte zumindest für die nächsten Monate noch einmal vorhalten wird.
Mut wagen
Mehr Mut wagen sollten wir, also die Brettspielszene, auch in Bezug auf die Beseitigung von strukturellen und anderen Ungerechtigkeiten wie zum Beispiel bei Ethnien und Geschlecht. Hier wurde erneut wieder auf die Expertise aus der Wissenschaft gesetzt. Dies freut mich auf Basis meiner Profession natürlich immer sehr, allerdings fällt es mir auch ungleich schwerer mich mit Kritik zurückzuhalten, wenn ich beispielsweise mit den angenommenen theoretischen Grundlagen und methodischen Vorgehensweisen – auch aufgrund der unterschiedlichen Disziplinen – nicht einverstanden bin. Ich besuchte den Vortrag „Die Brettspiel-Szene im Spannungsfeld zwischen Offenheit und Exklusion“ von Cosima Werner und hoffe, ihr nicht zu sehr auf die Nerven gegangen zu sein. Cosima betreibt Szenenforschung (ein heimliches Steckenpferd aus dem Studium von mir), welches sie Bubbles nannte, und beschäftigt sich dort aus einer qualitativen Perspektive auch mit der Brettspielszene. Ihr eigentliches Interesse gilt allerdings nach meinem Verständnis Ausgrenzungsmechanismen, die in Szenen stattfinden, und dort fand ich erhellend, noch einmal vor Augen geführt zu bekommen, dass auch die in ihrer Selbstzuschreibung so offene und familiäre Brettspielszene sehr ausgrenzend sein kann. Cosima hat sich zudem insbesondere für eine Nicht-Brettspieler*in sehr gut in das Thema Brettspiele eingearbeitet, was ich im Vergleich zu anderen Vorträgen, die ich in der Vergangenheit im Wissenschaftsbereich besucht hatte, sehr positiv empfand.
Dass es Ausgrenzungstendenzen gibt, unterstrich im tagesabschließenden Podiumsgespräch „Mehr Vielfalt im Brettspiel“ auch Samantha Schwickert vom SPIELKÖPFE-Verlag. Für mich ein eindeutiges Signal, dass das Thema weiterbearbeitet werden muss und uns sicherlich auch weiter begleiten wird.
Kritik am Tag der Brettspielkritik?
So voll der Tag war, manche Themen blieben unterbeleuchtet. Das liegt in der Natur der Sache, aber ich glaube, dass es neben der oben bereits angesprochenen Offenheit gegenüber alternativen Strukturen auch beim Tag der Brettspielkritik generell mehr Offenheit braucht. Zwischenzeitlich hatte ich in den Diskussionen den Eindruck, dass sich einzelne Personen bewusst von „Influencern“ abgrenzen wollen. Ich verstehe das und betrachte mich auch nicht als Influencer. Wie ich in meiner Studie (Blumenberg 2025) festgestellt habe, kategorisiert sich jedoch fast die Hälfte der befragten Content Creator*innen als Influencer*innen. Ich glaube, dass es mehr Begegnung zwischen den Gruppen (gibt es die?) geben müsste, um die vermeintlich gegensätzlichen Perspektiven besser kennenzulernen. Wer weiß, vielleicht würde dies ja dazu führen, dass so manche Kritik besser aufbereitet werden würde und so manches Video (Platzhalter – das könnte auch ein Bild, ein Text, oder eine Sprachnachricht) mehr wäre als Werbung. Dass die Personen mit den größten Reichweiten innerhalb der Szene sich nicht für den Tag der Brettspielkritik interessieren, finde ich in jedem Fall bezeichnend. Zumindest war mit Ausnahme von Johannes (HUNTER & FRIENDS) niemand von ihnen da. Dinge besser machen, das scheint mir das Anliegen der anwesenden Personen zu sein, und ich glaube, dass die besagte Offenheit hier helfen könnte.
Und falls noch Themen gebraucht werden: Wir müssen auch dringend über den Einsatz von KI sprechen. Nicht nur bei der Erstellung von Brettspielgrafiken, sondern auch im journalistischen Bereich.
Insgesamt fand ich den Tag erneut sehr gelungen und hervorragend organisiert. Keine Sorge – es entsteht daraus kein weiterer Blogbeitrag. Aber ich nehme viel mit – auch einiges, das erst mit der Zeit Wirkung entfalten wird. Vielen Dank an dieser Stelle noch einmal an die Mitglieder des SPIEL DES JAHRES E.V., die hier neben weiteren Aktivitäten (ehrenamtlichen!) viel Zeit investieren.