FOMO
Am liebsten sehe ich mich als Teflon-Minister. Willensstark, über jede Kritik erhaben und vor allem immun gegen Hype. Zumindest rede ich mir das gern ein. Denn insbesondere die FOMO kickt bei mir regelmäßig. Wie neulich, als ich dann doch unbedingt noch WUNDERSAME WESEN haben musste. Dabei war ich dem Spiel recht lange entkommen. Die drohenden letzten Exemplare und relativ gute Besprechungen ließen meine Selbstbeherrschung bröckeln, und so wanderte das Spiel mit den putzigen Figuren auf der BERLINCON in meine Tasche.
Mechanik
Nun gut, immerhin ist es ein Arbeitereinsetzspiel mit niedlichen Reittier-Meeples („Besatzungsmitglieder“). Das zieht schon einmal. Bin ich am Zug, darf ich diese platzieren, um Ressourcen zu erhalten, oder ich spiele eine Karte aus, für die ich die gesammelten Ressourcen benötige. Auf diesen Karten sind die namensgebenden Tierwesen abgebildet, die es laut Spielgeschichte zu erforschen gilt.
Durch das Karten-Spielen kann ich mir eine kleine Engine aufbauen und mich so zu den Errungenschaften vorarbeiten, die meistens wiederum mit den Karten und deren unterschiedlichen Symbolen – entweder Tieren oder Lebensräumen – zusammenhängen. Hier entsteht ein Wettrennen: Die Plätze müssen zwar nicht in Reihenfolge belegt werden (ich kann also auch einen niedrigeren Rang einnehmen, der weniger Voraussetzungen hat), meist spiele ich aber auf die oberen, punkteträchtigen Ränge.
Auch Eier gibt es in diesem Spiel, denn mit ihnen kann ich fehlende Symbole ersetzen, muss sie danach aber ausbrüten („umdrehen“). Kurioserweise funktioniert das auch in die andere Richtung – aber immerhin bin ich hier bei den wundersamen Wesen.
Sind alle meine Reittiere eingesetzt, bleibt mir nur der Rückholzug, der zugleich die Auslage erneuert und das Spiel insgesamt vorantreibt. Dabei ist der Kartenmarkt erstaunlich lebendig: Kaum hat man sich an eine Auslage gewöhnt, wird sie schon wieder umgeworfen. Diese ständige Fluktuation sorgt einerseits für Abwechslung, andererseits aber auch für ein Gefühl permanenter Unsicherheit – besonders, wenn man auf bestimmte Symbolkombinationen hinarbeitet.
In meinen Partien empfand ich es als erfrischend, wie schnell wir uns stets durch den immerhin 126 Karten umfassenden Wesenskartenstapel arbeiteten. So komme ich nicht nur in den Genuss der vielen großartigen Abbildungen, sondern steigere auch meine Chancen, an die passenden Karten zu gelangen. Das war in Spielen mit ähnlich hohen Kartenstapeln, mit denen es oft verglichen wird, nicht immer so. Vor allem in ARCHE NOVA erschwerte die träge Auslage die Planung, weshalb die erste Erweiterung dieses Problem aufgriff. Hier ist fast das Gegenteil der Fall.
Besonders strategisch herausragend wird das Spiel dadurch aber nicht. Es bleibt ein gutes Stück vom Glück abhängig, ob ich die nützlichen Karten tatsächlich ziehe. Dies zeigt sich besonders im Engine-Building, das insgesamt erstaunlich flach bleibt – mehr als eine Ebene an Kartenzusammenhängen kann ich selten aufbauen. Selbst EVERDELL, mit dem es sich nicht zuletzt aus optischen Gründen messen lassen muss, bietet hier mehr.
Dennoch entstehen oft Kettenzüge – ausgelöst durch Nebenaktionen, Karten oder den Rückholzug. Dass die Symbole dabei nicht immer leicht zu lesen sind, hat der Verlag mit schriftlichen Erklärungen auf jeder Karte aufgefangen. Das hilft, sorgt aber zugleich für zusätzliche Downtime. In längeren Partien saß ich mehrfach untätig da, während andere Spielende ihre verketteten Effekte abhandelten – und merkte, wie meine Gedanken schon auf einer ganz anderen Insel landeten.
Neben den Besatzungsmitgliedern steht vor mir noch eine toll geschnitzte Kapitänsfigur (Holz ist neben Pappe das Hauptmaterial des Spiels), die ich mir zu Beginn aus einer Auswahl ausgesucht habe. Sie bringt eine leichte Asymmetrie ins Spiel und kann verwendet werden, sobald ich die erste Errungenschaft erreicht habe. Auch hier ist das Material über jede Kritik erhaben: Die Figur haftet magnetisch auf einem Besatzungsmitglied – ein charmantes Detail, das haptisch zum Spielen einlädt.
Leider empfand ich den Wiederspielwert nach mehreren Partien als begrenzt. Die Errungenschaftskarten bieten außer unterschiedlichen Symbolen kaum Varianz. Schnell zeigt sich, welche Felder auf dem Spielplan am effizientesten genutzt werden können, und auch der Engine-Building-Anteil ist oft eher angedeutet als wirklich tiefgreifend umgesetzt. Kurz gesagt: Das Spiel sieht großartig aus, spielt sich solide – aber zündet strategisch zu selten.
Ich bin mir sicher, dass WUNDERSAME WESEN durch sein herausragendes Material Anhänger finden wird. Für mich jedoch blendet es mehr, als es begeistert. Vielleicht ändert sich das durch die beiden Erweiterungen, doch diese sind derzeit schwer erhältlich – und so beziehe ich meine Bewertung ausschließlich auf das Grundspiel.
Transparenzhinweis
Für diese Rezension stand mir ein preisreduziertes Rezensionsexemplar zur Verfügung, welches ich mir auf der BERLINCON bei Strohmann Games gekauft habe.
Abschließende Bewertung des Ministeriums